Dein Blut auf meinen Lippen
dunkelblau. Als er die Straße aus grobem Kopfsteinpflaster erreichte, die ins Zentrum führte, war er ganz außer Atem, und es wurde empfindlich kühl. Er war so überglücklich, dass er keine Ahnung hatte, wie er Benvolio und Mercutio seinen Gemütszustand verheimlichen sollte. Er war mit ihnen im Wirtshaus verabredet, und sie durften von der heimlichen Hochzeit nichts erfahren.
Doch dann sah er sie mit großen Zinnkrügen vor dem Wirtshaus stehen und herumalbern, und seine Sorge verflüchtigte sich. Bestimmt waren sie viel mehr daran interessiert, mit den anderen Wirtshausbesuchern ihre Späße zu treiben, als sein Gefühlsleben zu erforschen und ihn auszufragen.
"Hallo Romeo, da bist du ja endlich!", rief Benvolio und schwenkte ihm seinen Krug entgegen.
"Wo hast du die ganze Zeit gesteckt?", fragte Mercutio. "Wir warten schon über eine Stunde auf dich."
Romeo klopfte ihm auf den' Rücken und grinste entschuldigend. "Tut mir leid. Ich habe Bruder Lorenzo bei einer Reparatur im Kloster geholfen. Habe ich was verpasst?"
"Noch nicht", erwiderte Benvolio. "Aber wir haben beschlossen, unseren eigenen Rekord zu brechen und mindestens drei Krüge Bier mehr zu trinken."
"Ganz schön ehrgeizig! Ich glaube nicht, dass ich da mithalten kann", meinte Romeo und lachte.
"Verdammt! Es sieht so aus, als könnten wir heute Abend doch keinen Spaß haben", sagte Mercutio plötzlich und blickte Romeo mit gerunzelter Stirn über die Schulter.
Mit unverhohlenem Ärger stellte Benvolio seinen Krug so unsanft auf den Boden, dass das Bier hoch aufspritzte und über die Pflastersteine floss. "Ganz im Gegenteil, Mercutio", erklärte er düster. "Der Spaß fängt erst an."
Romeo wusste nicht, was den plötzlichen Stimmungsumschwung verursacht hatte, bis er sich umdrehte und drei schwarzgekleidete Kreaturen auf das Wirtshaus zuschweben sah. Sie waren nur noch wenige Meter entfernt. Ihre Augen glühten so rot wie Julias in dem Moment, als er sie am Altar geküsst hatte. Ihre spitzen, scharfen Fangzähne waren entblößt - ein untrügliches Anzeichen, dass sie die Absicht hatten, ihren Blutdurst zu stillen.
Der Mittlere war Tybalt. Laut knurrend näherte er sich Romeo. Seine Brauen glänzten vom Schweiß, und aus seinem im Nacken zusammengebundenen Haar lösten sich einzelne Strähnen.
Romeo hörte, wie Mercutio hinter ihm sein Schwert aus der Scheide zog. Er drehte sich um und schüttelte den Kopf, um dem Freund zu signalisieren, dass er nichts Unüberlegtes tun sollte.
"Romeo Montague, du eitrige Pestbeule!", krächzte Tybalt, warf sich in die Brust und zeigte anklagend auf Romeo. "Mit dir habe ich eine Rechnung offen."
Obwohl Tybalt der furchteinflößendste Vampir war, den Romeo je gesehen hatte, trat er ihm unerschrocken entgegen, um die Situation zu entschärfen, so wie er es auf dem Ball im Schloss der Capulets getan hatte. Zwar hatte er am Abend zuvor mit seiner Redegewandtheit bei Tybalt nicht viel erreicht, aber das musste nicht unbedingt heißen, dass es jetzt nicht funktionieren würde.
"Ja, ich weiß", erwiderte er und bemühte sich, gutgelaunt zu klingen. "Wollen wir reingehen und ein Wetttrinken veranstalten? So begleichen jedenfalls wir Montagues offene Rechnungen, nicht wahr, Männer?"
Statt zu antworten, starrten Benvolio und Mercutio nur feindselig in Tybalts Richtung.
Der starrte nicht weniger feindselig zurück. Dann legte er den Kopf in den Nacken und stieß ein so markerschütterndes Wolfsgeheul aus, dass eine Glasscheibe direkt hinter Benvolio barst und Scherben und Splitter in alle Richtungen flogen.
"Das soll wohl Nein heißen", murmelte Romeo.
"Du hast mich vor meinem Onkel und dem Fürsten der Walachei blamiert und meine Familie beleidigt, indem du dich bei den Capulets eingeschlichen hast." Tybalt versetzte Romeo einen Stoß und brachte ihn damit zu Fall.
"Lass dir das nicht gefallen, Romeo!", rief Benvolio.
"Genau! Zeig dem Blutsauger, wer hier der Stärkere ist!", fügte Mercutio hinzu.
Romeo stand auf und klopfte sich den Straßenstaub aus den Kleidern. Er wusste, dass er sich nicht auf einen Racheakt einlassen durfte. Tybalt war Julias Cousin. Ihn anzugreifen bedeutete, die Frau zu beleidigen, die er liebte. Außerdem konnte er nicht riskieren, das Friedensdekret des Fürsten zu brechen, da ihm sonst die Todesstrafe drohte. Romeo hoffte, dass auch Tybalt sich beruhigen würde, wenn er ihn daran erinnerte.
"Habt ihr denn alle den Friedensvertrag vergessen?", fragte er in die Runde.
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