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Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Titel: Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marias
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Aber dabei ist sie rot geworden, und ich weiß, wann meine Schwester lügt, ich habe ja von klein auf gesehen, welches Gesicht sie dabei macht. Und außerdem habe ich nachher noch ein paar Sachen gehört.‹
    ›Und was? Kennst du den Typen etwa?‹ Ich merkte, daß ich schon seinen Namen vermied, obwohl ich ihn im Gedächtnis gut festhielt, wie ein Fundstück, einen Schatz. Er war eine wertvolle Information.
    ›Ja, vom Sehen. Und vom Hören. Vor ein paar Jahren traf man ihn nicht selten an der Bar im Chicote oder im Cock oder im Del Diego oder in anderen Etablissements, ein Künstlertyp, ein Aufreißer im Nachtleben, aber anscheinend nicht nur dann, sondern zu jeder Uhrzeit, das ist so einer, der auf den ersten Blick erkennt, wer angesprochen werden will und in welcher Absicht, oder der in der Lage ist, die Bereitschaft und die Absicht in anderen zu wecken, also bei den Frauen. Hat man mir jedenfalls erzählt. Ich weiß nicht, ob er diese Orte immer noch aufsucht, weil ich selbst nicht mehr hingehe. Kann gut sein, daß du ihn auch mal gesehen hast, in den Achtzigern oder Neunzigern.‹
    ›Wie sieht er denn aus? Hat er einen Pferdeschwanz?‹, fragte ich, ich konnte nicht anders. Ich brannte vor Begierde, das zu erfahren.
    ›Ja, woher weißt du das?‹
    ›Ein, zwei Dinge weiß ich eben. Aber bekannt kommt er mir nicht vor. Oder ich habe niemand Bestimmten mit Pferdeschwanz in Erinnerung. Na ja, offen gestanden habe ich praktisch schon aufgehört, abends auszugehen, als Guillermo zur Welt kam, und vielleicht trug er ja früher keinen. Der Nachname sagt mir auf jeden Fall nichts. Und was hast du jetzt gehört?‹
    ›Nachdem ich Luisa mit diesem Schnitt gesehen hatte, hatte ich ein ganz ungutes Gefühl, und da habe ich mich bei einem Bekannten nach Custardoy erkundigt, Juan Ranz, der ihn seit seiner Kindheit kennt. Sie sind nie gut ausgekommen und pflegen seit Jahren fast keinen Umgang, aber ihre Eltern waren befreundet und steckten die beiden zusammen, wenn sie sich gegenseitig besuchten, zum Spielen und damit sie beschäftigt waren, er hat ziemlich unter ihm gelitten; er sagt, Custardoy sei ein erwachsener Junge gewesen, ungeduldig, auf die Welt aufzuspringen, als wollte er aus seinem noch nicht voll ausgebildeten Körper ausbrechen. Später, als er schon groß war, hat Custardoy für Ranz’ Vater Bilder kopiert, er ist ein Kunstexperte (anscheinend ist er brillant und kopiert dir meisterlich egal was aus egal welcher Epoche, seine Bilder sollen kaum vom Original zu unterscheiden sein, daher sein Ruf als Fälscher), und deshalb ist er ihm immer wieder mal begegnet, durch den Vater. Juan ist Dolmetscher bei der UNO , seine Frau heißt übrigens auch Luisa.‹
    ›Und was hat er dir noch erzählt?‹
    ›Das Auffälligste oder Beunruhigendste, das, was uns wohl am meisten betrifft, ist, daß er zwar Erfolg bei den Frauen hat, aber es scheint in seinem Umgang mit ihnen auch eine dunkle Seite zu geben, Ranz weiß jedenfalls von einigen, die aus ihrer Beziehung mit ihm entsetzt davongelaufen sind, ich meine aus ihrer Bettbeziehung (einige waren Prostituierte und hatten keine andere zu ihm unterhalten). Und dann wollten sie nicht mal davon erzählen oder darüber reden, sie schienen das Erlebnis möglichst schnell vergessen und hinter sich lassen zu wollen. Als ob die Erfahrung, die bloße Erinnerung daran, sie verbrennen und sich nicht dazu eignen würde, eine Erzählung daraus zu machen. Und selbst wenn zwei Nutten auf einmal bei ihm gewesen waren (anscheinend steht er auf Dreier, immer er und zwei Frauen), waren die dann genauso entsetzt und ließen sich nichts darüber entlocken. Und so kommt es, wie man sich denken kann: Viele andere, ob Nutten oder nicht, verspüren eine unwiderstehliche Neugier zu erfahren, was zum Teufel er macht oder nicht macht. Du weißt ja, dumme Hühner laufen genug herum.‹
    Das war das Schlimmste, was ich hören konnte. Ein Weiberheld, der aber zu Huren ging, einer, der im Bett eine Spur hinterließ, auch wenn es nur eine Spur des Entsetzens war. ›Ein solcher Bursche muß mich nicht einmal vernichten oder mein Grab tiefer graben, in dem ich bereits beerdigt bin‹, dachte ich, ›weil er die Erinnerung an mich mit einem Federstrich ausgelöscht haben wird, mit dem ersten Schrecken und dem ersten Flehen und der ersten Faszination und dem ersten Befehl, und jetzt kann Luisa unterworfen sein.‹
    ›Aber Luisa ist kein dummes Huhn, das war sie nicht und ist sie noch nie gewesen‹,

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