Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze
zweimal. Aber nicht aus Berechnung, auch nicht aus Tapferkeit, nicht einmal aus Nervosität, auch nicht wirklich aus Panik. Er ist so zufrieden mit seiner Biographie und mit seiner Existenz, so voll Staunen und Stolz über das, was er erreicht hat und noch immer erreicht (er sieht noch keine Grenzen für sich), sein Erfolgsmärchen gelingt ihm so rund und vollkommen, daß er es nicht ertragen könnte, wenn alles in ein paar Sekunden, vorzeitig, den Bach hinuntergehen würde, durch einen falschen Schritt oder durch Pech, durch eine Unvorsichtigkeit oder einen bösen Zusammenstoß. Vor allem die Vorstellung könnte er nicht ertragen. Nehmen wir an, daß Diebe in sein Haus eindringen, die zu allem bereit sind« – burglars , sagte ich – »oder daß er auf der Straße überfallen wird: nein, er würde nie zu Fuß durch die Straßen gehen. Nehmen wir an, daß er eine Panne mit dem Auto hat, während er durch ein übles Viertel fährt, daß es eines späten Abends seinen Geist aufgibt, wenn er von seinem Landhaus zurückkehrt, er allein am Steuer oder begleitet von einem Leibwächter, immer wird er zumindest einen bei sich haben, er würde keine hundert Yard ohne ein Mindestmaß an Schutz zurücklegen. Und daß sie, kaum mit einem Fuß auf dem Boden, sich von einer vielköpfigen, aggressiven, bewaffneten Bande umringt sehen würden, einer Bande von Desperados, gegen die zwei Männer, von denen einer überdies nur an Lob und Schmeichelei und an ein Leben ohne Schrecken gewöhnt ist, wenig ausrichten könnten.«
»Sie würden sofort mit ihren Handys die Polizei oder wen auch immer um Hilfe bitten oder hätten das längst über ihr Autotelefon getan«, unterbrach mich Tupra. Mich amüsierte es, wie leicht er für meine Erfindungen zu haben war oder sich in sie hineinfand. Ich glaube, er hatte ziemlich großen Spaß mit mir.
»Nehmen wir an, das im Auto ist zusammen mit dem Auto verreckt und die anderen funktionieren nicht oder sie haben sie ihnen schon abgenommen, ohne ihnen Zeit zu lassen, sie zu benutzen. Ich weiß nicht, wie es in England ist, aber in Spanien ist es das Allererste, was die Kriminellen heute stehlen, sie nehmen einem das Mobiltelefon sogar noch vor der Brieftasche ab, und deshalb verfügen sämtliche Straßenräuber, sogar noch die der untersten Kategorie, die mit der Spritze in der zittrigen Hand, unweigerlich über Handys. In Madrid werden Sie keinen Taschendieb, fast keinen Bettler sehen, der nicht sein tragbares Telefon besitzt.«
»Tatsächlich«, sagte Tupra mit einem Anflug von Lächeln. Er verstand meine Übertreibungen, er mißbilligte sie nicht.
»Tatsächlich. Ich versichere es Ihnen, gehen Sie in meine Heimatstadt und sehen Sie sich um. Gut, in dieser Situation, wenn Dearlove ein Messer bei sich hätte oder gar eine Pistole (er wäre dazu imstande, mit Waffenschein und allem), würde er wahrscheinlich um sich schießen oder Messerstiche austeilen, ohne zu verhandeln und bevor er Gewißheit hätte über das Ausmaß der Bedrohung, über den Grad an Verzweiflung und Haß der Desperados, die sich womöglich als Bewunderer von ihm hätten entpuppen können und ihn, nachdem sie ihn erkannt hätten, am Ende um Autogramme angegangen wären, das könnte sein, man darf in seinem Fall nie vergessen, wie weit seine Popularität gehen kann. In Spanien zum Beispiel ist er auch ein sehr großes Idol, vor allem im Baskenland, ich weiß nicht, ob Sie das wissen.«
»Ich vermute es. In diesen Zeiten triumphieren alle Witzfiguren weltweit«, sagte Tupra. »Sprich weiter.« Damals nannte er mich bereits Jack, ich ihn aber noch immer Mr. Tupra.
»Was Dearlove nicht ertragen könnte« – natürlich nannte ich Dearlove nicht Dearlove, sondern bei seinem richtigen Namen –, »ist, daß dies sein Ende wäre, wie soll ich sagen: er würde es fast weniger ertragen als das Ende selbst. Natürlich würde es ihn, wie jeden anderen auch, entsetzen, wenn sein so erfolgreiches Leben ruiniert und er es verlieren würde, selbst wenn es erfolglos wäre; und außerdem halte ich ihn nicht für einen mutigen Menschen, ich sagte es schon, er würde grenzenlose Angst haben. Was aber Dearlove, wie auch andere Leute, die eine öffentliche Existenz führen, am meisten erschreckt (obwohl sie es vielleicht nicht wissen), ist, daß sein Märchen in einer Weise ausgeht, die alles Vorherige überschattet, die seinen bisherigen Weg und was sich auf ihm angesammelt hat, verdunkelt, die alles überdeckt; die den Rest fast
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