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Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze

Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze

Titel: Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
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Papier). Ich lief den einen und den anderen hinterher, als ich sah, daß Wheeler endlich die Augen sowie die Ohren geöffnet hatte und – mit wieder freien Händen – jetzt einen Arm an die Stirn hob – oder das Handgelenk an die Schläfe, als schmerzte sie ihn sehr oder als wollte er feststellen, ob er Fieber bekommen hatte, oder vielleicht war es die Geste eines Alptraums. Und den anderen Arm hielt er ausgestreckt und zeigte mit dem Zeigefinger in der gleichen Weise, in der er es am Vorabend getan hatte, als ihm ein Wort nicht einfiel und ich es erraten oder es ihm aus der Nase ziehen mußte. Ich hätte geglaubt, daß es wieder nur das war, eine vorübergehende Sprachstörung, wenn ihr nicht der Flug des Hubschraubers und Peters gewollte Taubheit und Blindheit vorausgegangen wären, während der Propeller uns betäubte, ich hatte ihn, wie soll ich sagen, schutz- und hilflos gesehen und ich wußte nicht, ob auch weggetreten. Ich näherte mich ihm furchtsam, ich gab daher die Papiere auf, die Jagd auf die noch Rebellischen.
    »Peter, fühlen Sie sich schlecht, ist etwas?« Er schüttelte den Kopf und zeigte mit einem Ausdruck von Bestürzung weiter auf das Ufer des friedlichen Cherwell, dieses Mal mußte ich mich nicht an Annäherungen versuchen: »The cartoon?« lautete meine Frage, und er nickte sofort, obwohl ich mich, glaube ich, im Wort irrte, es war die echte Zeichnung, der seine Sorge galt, er hatte die Gefahr erst in dem Augenblick erkannt, als er die Augen öffnete nach seinem Schrecken oder seiner blitzhaften Erinnerung, nicht vorher; und so lief ich wieder los, sprang, fiel hin, bekam sie zu fassen, fing sie mit zwei Fingern unversehrt am Rand des sanften Wasserlaufs ab, ich mußte wie einer dieser Cricketspieler wirken, die sich im Flug ins Gras werfen, dieses so englische Spiel, das ich nicht begreife, oder wie ein Torwart bei seinem Strecksprung, das andere, nicht so englische Spiel, das ich vollkommen begreife. Die Luft hatte sich beruhigt, ich sammelte weitere zwei oder drei Papiere vom Boden auf, sie waren alle in Sicherheit, keines war verlorengegangen oder naß geworden, nur zerknittert waren ein paar. »Da, Peter, ich glaube, sie sind alle da, sie haben kaum Schaden genommen, wie mir scheint«, sagte ich, während ich einige glattstrich. Doch Wheeler brachte noch immer kein Wort hervor und zeigte wiederholt mit dem Finger auf mich, als wäre ich ein Erbe oder ein Empfänger, ich begriff, daß diese Zeichnungen für mich waren, er schenkte sie mir. Er klappte seine Mappe auf, und ich legte sie hinein, außer der von Fraser, die keine Reproduktion, sondern ein Originalausschnitt war, denn er hob den Zeigefinger und hielt mich zurück, als ich sie zu den anderen tun wollte, und berührte dann sofort seine Brust mit dem Daumen. ›Die nicht, die ist für mich‹, besagte diese Geste. »Die möchten Sie behalten?« kam ich ihm zu Hilfe. Er nickte, ich legte sie beiseite. Es war seltsam, daß ihm genau in dem Moment plötzlich die Sprache wegblieb, da er von den wenigen oder vielen – wie man es eben betrachtete – gesprochen hatte, die es waren, sprachlos. Am Vorabend, als das Wort ›Kissen‹ ihm im Hals steckengeblieben war, hatte er später erklärt, nachdem er die Stimme oder die Fertigkeit zurückgewonnen hatte: »Das passiert mir von Zeit zu Zeit. Es ist nur ein Augenblick, als würde der Wille mir entgleiten.« Und dann hatte er diesen gehobenen Ausdruck benutzt, der selten war, weniger im Englischen als in meiner Sprache: »Es ist wie eine Ankündigung, oder ein Vorwissen …«, ohne den Satz zu beenden, auch nicht, als ich ihn wenig später drängte, es zu tun; darauf hatte er mir geantwortet: »Frag nicht, was du schon weißt, Jacobo, das ist nicht dein Stil.« Vorwissen war das Wissen von künftigen Dingen oder das vorherige zweifellose Wissen der Ereignisse. Ich weiß nicht, ob das existiert, aber zuweilen benennt man auch, was nicht existiert, und dann entsteht die Ungewißheit. Jetzt hatte ich keinen Zweifel über das Ende seines Satzes, ich hatte mich am gestrigen Abend danach gefragt oder es erahnt, heute hatte ich die sichere Antwort, obwohl er sie mir nicht gegeben hatte: ›Es ist wie eine Ankündigung oder ein Vorwissen wie es ist, tot zu sein.‹ Und vielleicht hätte er hinzufügen können: ›Nicht sprechen können, obwohl man will. Nur, daß man es zudem nicht mehr will, der Wille verweigert sich. Es gibt weder Wollen noch Nicht-Wollen, beide sind verschwunden.‹

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