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Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze

Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze

Titel: Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
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Ich schaute zum Haus hin, Frau Berry hatte ein Fenster im Erdgeschoß geöffnet und machte uns Zeichen mit dem hoch erhobenen Arm. Vielleicht war sie ans Fenster getreten, kaum daß sie das Getöse des störenden Propellers vernommen hatte, und hatte mein Gerenne und meine Hechtsprünge verfolgt, ohne daß wir es gemerkt hatten. Ich fragte sie, wobei ich die Stimme hob: »Essenszeit?«, und begleitete meinen Ruf mit einer eher absurden Handbewegung in Höhe des Mundes, wie jemand, der Spaghetti auf eine Gabel wickelt. Ich glaube nicht, daß sie mich hörte, aber sie verstand mich. Sie verneinte mit der Hand, dann deutete sie mit ihr kurz etwas wie Abwehr an, als wollte sie mir sagen ›Nein, noch nicht‹, und zeigte sogleich mit besorgter oder zweifelnder Miene auf Peter, ›Geht’s ihm gut?‹, lautete die Übersetzung. Ich nickte mehrmals, um sie zu beruhigen. Sie hob beide Hände gleichzeitig, wie angesichts eines Überfalls, ›Dann ist es ja gut‹, und schloß das Fenster und verschwand nach innen. In diesem Augenblick gewann Wheeler die Sprache zurück:
    »Ja, die behalte ich, ich gebe dir eine Kopie, wenn du willst«, sagte er, sich auf Frasers Zeichnung beziehend. »Die anderen kannst du behalten, ich habe sie mehrfach oder in besseren Reproduktionen in Büchern; auch das eine oder andere Original habe ich noch. Die mit der Hakenkreuz-Spinne gefällt mir besonders. Was für ein verdammter Hubschrauber«, fügte er übergangslos und mit Verdruß hinzu, »was der wohl hier verloren hatte, das hier ist geistiges Gelände. Ich hoffe, er wird uns nicht noch einmal durchkämmen, hast du vielleicht einen Kamm zur Hand? Ihr Latinos habt doch gewöhnlich einen dabei.« Wheelers Haar sah in der Tat wie der wilde Schaum eines Wellenkamms aus, und meines fühlte sich an, an hätte es mir jemand verknotet. »Was wollte Mrs. Berry?« Auch das fügte er ohne Pause an. Er nannte sie wieder wie in Gesellschaft. Er erholte sich allmählich, das kam ihm dabei vermutlich zu Hilfe; oder es war die Macht der Gewohnheit der Verstellung. »Hat sie uns schon zum Mittagessen gerufen?« Er blickte auf die Uhr, ohne mit dem Blick zu verweilen, er versuchte, seinen Schrecken ohne Kommentare meinerseits zu überwinden, obwohl er genau wußte, daß ich ihn nicht davonkommen lassen würde, ohne wenigstens einen Versuch zu machen.
    »Nein, es ist noch nicht fertig. Ich nehme an, der Lärm hat sie erschreckt, sie hat bestimmt nicht gewußt, was es war«, antwortete ich und fügte meinerseits ohne Pause hinzu: »Ihnen ist schon wieder die Stimme weggeblieben, Peter. Gestern abend haben Sie mir gesagt, daß das nur von Zeit zu Zeit passiert. Aber nun schon zweimal an diesem Wochenende.«
    »Bah«, antwortete er ausweichend, »das war Zufall, Pech, dieser verfluchte Hubschrauber. Sie machen einen Höllenlärm, der hier klang fast wie eine alte Sikorsky H-5, ihr bloßes Geräusch löste Panik aus. Und dann rede ich auch viel, mit dir rede ich zu viel und am Ende nimmt mich das mit, ich bin es nicht mehr so gewöhnt. Du läßt mich und läßt mich, du machst ein interessiertes Gesicht, und ich danke dir sehr dafür, aber du solltest mir öfter das Wort abschneiden, mich zwingen, mehr zur Sache zu kommen. Ich bin ein bißchen allein hier in Oxford, denke ich, in der letzten Zeit, und mit Mrs. Berry ist alles gesagt, alles, worüber man mit ihr sprechen kann, natürlich, oder worüber sie mit mir sprechen will. Glaub nicht, daß mich viele Leute besuchen. Etliche sind gestorben, andere sind gleich nach der Pensionierung nach Amerika gegangen und leben dort wie die Parasiten, ich wollte das nicht, sie beschränken sich darauf, zu warten und sich dabei soviel wie möglich zu sonnen, sie gestatten sich Bermudashorts, sie entwickeln übers Fernsehen eine Vorliebe für diesen Fußball dort mit viel künstlichem Polster und Helm, sie machen sich Sorgen um ihre Eingeweide und ernähren sich nur von Brokkoli, sie treiben sich in der Bibliothek und auf dem Campus herum, die ihnen zugefallen sind, und lassen sich von ihren Fakultäten von Zeit zu Zeit wie wertvolle überseeische Mumien oder wie zerschlissene Trophäen vager heroischer Zeiten zur Schau stellen, von denen dort niemand weiß, worin sie bestanden. Kurz gesagt, als Antiquitäten, das ist überaus deprimierend. Aber mit dir spreche ich gern. Die Engländer fliehen alles, was nicht Anekdote, konkrete Angabe, Tatsache und ironische Randbemerkung oder Glosse ist; das Spekulative mißfällt ihnen,

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