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Dein Gesicht morgen: Tanz und Traum (German Edition)

Dein Gesicht morgen: Tanz und Traum (German Edition)

Titel: Dein Gesicht morgen: Tanz und Traum (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
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es muß Enttäuschung in meiner Stimme gelegen haben oder verletzter Stolz. »Aber ich weiß, was Blut ist, glauben Sie mir. Ich kann es unterscheiden.«
    »Na ja, dann ist es höchst merkwürdig.« So antwortete Frau Berry, als erklärte sie die Inspektion und den ganzen Fall für abgeschlossen; es klang, als hätte sie zu mir gesagt: ›Lassen Sie es gut sein, Jack, was sollen wir noch tun? Ich weiß nichts und habe nichts gesehen, und Peter auch nicht. Und es ist unwahrscheinlich, daß ich einen solchen Blutfleck übersehe, zumal auf dem Weg zu meinem Zimmer. Begreifen Sie nicht, wie schwer das ist?‹
    Ich löste die Finger vom Holzboden, richtete mich auf, wandte mich Wheeler zu, schaute von oben auf ihn hinunter. Er hatte kein einziges Wort gesagt, aber mir schien, daß es sich dieses Mal nicht um einen weiteren mündlichen Stau handelte, wie er ihn vor einer Weile im Garten erlitten hatte, nach dem Tiefflug des Hubschraubers, und am Vorabend, als wir allein zurückgeblieben waren und die läppische Vokabel »Kissen« ihm nicht über die Lippen gekommen war. Mir schien nicht, daß er ein Vorwissen von irgend etwas hatte, sein alter Blick blickte jetzt nicht in die ungewisse Zukunft, die leer und glatt war wie das Holz, das war sicher, sondern reichte in seinem Staunen weit über unsere Köpfe hinaus, in deren Richtung sein Blick ging, die er jedoch nicht ins Visier nahm oder nicht ganz, und die weit geöffneten Augen verliehen ihm einen widersprüchlichen Gesichtsausdruck, fast wie bei einem Kind, das etwas zum ersten Mal entdeckt oder sieht, etwas, das es nicht erschreckt oder abstößt, aber auch nicht anzieht, sondern Verblüffung bei ihm erzeugt oder irgendein intuitives Wissen oder aber eine Art Verzauberung. Er schaute auf etwas, das uneben war, mit einer Zeichnung oder einer Figur, im Unterschied zum Fußboden, aber mir war nicht sehr klar, ob die Linien erkennbar und kräftig waren, auch nicht, ob sie der Vergangenheit angehörten. Es war, als betrachtete er den Limbus, den beneidenswerten Ort, der als einziger frei von Urteilen und Aufrechnungen war an jenem letzten Tag, den alten Spekulationen zufolge, und an den der Richter sich wahrscheinlich zeitweise zurückzog, um seine Ruhe zu haben und sich eine Pause von den Abscheulichkeiten und den Vollkommenheiten, von den abwegigen Entschuldigungen und den maßlosen Ansprüchen zu gönnen und vielleicht einen kleinen Imbiß, um wieder zu Kräften und Durchhaltevermögen für die endlosen Sitzungen zu kommen, und sich auch ein Schlückchen aus seiner göttlichen Schnapsflasche zu genehmigen, eine Reise, um sich zu stärken, bevor er wieder in den großen Tanzsaal zurückkehren würde, um dort weitere Millionen verwickelter und wirrer und erbärmlicher und unsinniger Geschichten zu hören.
    »Ihnen fällt auch nichts ein, Peter.« Jetzt sprach ich nur ihn an, direkt, es war eher eine Bestätigung als eine Frage, aber auch, so wurde mir klar, ein Versuch, ihn zu einem verbalen Ausdruck über dieses Blut oder Nicht-Blut zu bewegen, das ich gesehen oder nicht gesehen hatte, zu etwas, das von ihm käme und nicht von Frau Berry, die sich der Vermutungen und Antworten bemächtigt hatte. Tatsächlich war nichts Anormales daran, es war natürlich, ihr oblag die Instandhaltung des Hauses, wie auch seine Sauberkeit oder Säuberung und seine Mängel und Flecken. Im Englischen war sie der housekeeper , wörtlich die Person, die das Haus hielt oder hütete.
    »Nein.« Wheelers Verneinung kam sofort, nicht daß er abwesend gewesen wäre oder dem, was gesprochen wurde, keine Aufmerksamkeit geschenkt hätte. Sein Blick reiste, aber er war nicht verloren. »Sehr merkwürdig, in der Tat«, wiederholte er, obwohl er dem Satz nicht die gleiche resümierende Betonung gab wie seine Haushälterin. »That’s very odd indeed«, das war es, was er in seiner Sprache sagte, als wäre es eine bloße Konvention, eine mehr oder minder annehmbare und für mich nicht beleidigende Art, die Sache im Ungewissen zu lassen oder sie ohne Umstände in den Limbus zu verweisen, wo kein Anlaß vorliegt und kein Rechtsfall, weil sich niemand mit den dortigen Angelegenheiten beschäftigt. Er zog sein Schwert aus dem Boden, hielt es einen Augenblick lang mit beiden Händen hoch, als wollte er einen beidhändig geführten Hieb tun, und dann machte er eine halbe Drehung, um an den Tisch zurückzukehren und den Nachtisch zu beenden. Für mich war es das Zeichen, daß ich hier innehalten, aufgeben,

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