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Dein Gesicht morgen: Tanz und Traum (German Edition)

Dein Gesicht morgen: Tanz und Traum (German Edition)

Titel: Dein Gesicht morgen: Tanz und Traum (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
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sind wir nur noch einen Schritt vom Luxus entfernt. So viel ist nicht nötig.« Es war, als wollte sie um Vergebung bitten dafür, daß sie es annahm; deshalb nannte sie mich Deza und nicht Jaime, sie wollte nichts aus mir herausholen und war auch nicht schlecht gelaunt meinetwegen.
    »Du bedankst dich doch schon nach jeder Überweisung. Es ist gerecht, du hast die Kinder, ich verdiene jetzt gut und habe keine großen Unkosten. Ich werde es schon reduzieren, wenn sie steigen.«
    »Schon, aber du könntest sparen. Sie fragen, wann du kommst.«
    »Ich weiß nicht, ob demnächst. Ich muß meinen Chef auf einer Reise begleiten, aber wir wissen noch nicht, wann, ob in einer Woche oder in einem Monat oder später, bis dahin bin ich gebunden. Mal sehen, ob ich danach kann, an irgendeinem Wochenende mit bank holiday .« So nennt man in England die Feiertage, sie lassen sie alle auf Montag fallen, außer Weihnachten und Neujahr. »Aber ich spare jetzt schon, es reicht für mich. Und ich kaufe mir gute antiquarische Bücher, bessere und teurere denn je.«
    »Dann behalte diese Arbeit. Mal sehen, ob du mir einmal etwas erzählst, darüber, was du machst.« Ich glaubte nicht, daß es sie wirklich interessierte, sie wollte freundlich sein. Sie hatte bei anderen Gesprächen keine Neugier in dieser Hinsicht gezeigt. Oder vielleicht waren sie immer kürzer gewesen.
    »Es gibt kaum was zu erzählen«, sagte ich, und hier log ich, vor allem, wenn ich zwei Nächte zurückdachte. »Diplomatisches und Geschäftliches zu übersetzen ist Routine, obwohl ab und zu interessante Leute dabei sind. Aber ich werde sie nicht behalten, wenn ich es leid bin, das weißt du.«
    Sie wartete einige Sekunden und antwortete:
    »Ja, das weiß ich. Und das erscheint mir gut so, das weißt du auch.«
    Ich sah sie lächeln, als sie das sagte, mit den wachen Augen des Geistes. Ich war in einer anderen Stadt, in einem anderen Land. Aber ich sah sie ganz genau von London aus.

I ch bedankte mich bei ihr, sagte gute Nacht, wir verabschiedeten uns, ich legte auf. Aber nicht in Gedanken. Ich hob den Blick, stand aus dem Sessel auf, trat an das Guillotine-Fenster und schob es mit einem Ruck hoch, um das Zimmer zu belüften, ich hatte beim Reden geraucht. Es regnete nicht, es war überhaupt nicht kalt oder so kam es mir im ersten Augenblick vor, es hätte ein früher Frühlingsabend sein können, aber es war nicht sehr spät, nicht einmal für England, und doch schon vor einigen Stunden dunkel geworden, draußen war das fahle Dunkel des Square oder Platzes zu sehen, kaum erhellt durch die weißen Laternen, die das stets sparsame Licht des Mondes nachahmen, und, etwas weiter entfernt, durch die brennenden Lichter des eleganten Hotels und der bewohnten Häuser, in denen Familien oder alleinlebende Männer und Frauen wohnen, ein jeder eingeschlossen in sein schützendes, gelbes Quadrat, genau wie ich für jemanden, der mich beobachten mochte. Mir war auch, als hörte ich eine sehr leise Musik, so leise, daß jede Bewegung von mir sie überdeckte oder erstickte, also verharrte ich still – eine weitere Zigarette in der Hand – und versuchte vergeblich, sie zu hören und zu identifizieren, sie war so schwach, daß ich weder ihre Art noch auch nur ihren Rhythmus erkennen konnte. Und dann schaute ich, wie gewöhnlich, über die Bäume und die Statue und den Platz hinweg bis zur anderen Seite auf der Suche nach meinem sorglosen, tanzenden Nachbarn.
    Da war er, wie fast immer, die Nacht mußte in der Tat lau sein, denn auch er hatte zwei seiner Fenster geöffnet, zwei von vier, und wahrscheinlich kam die Musik aus seinem länglichen Wohnzimmer ohne Möbel, wie eine von Hindernissen freigeräumte Tanzfläche; da es nicht spät war, hatte er vermutlich einmal auf seine Kopfhörer oder sein schnurloses Gerät verzichtet, und das Stück erklang dieses Mal nicht nur in seinem Kopf – und in den deduktiven Ohren meines Geistes, während ich ihn beim Tanzen betrachtete –, sondern in der ganzen Wohnung und draußen, bis es dort, wo ich mich befand, vor meinem Fenster, wie ein Schatten oder ein brüchiger Faden erstarb. Er war nicht allein, bei ihm waren seine beiden von mir schon wahrgenommenen Partnerinnen, die beiden Frauen, die ich gelegentlich gesehen hatte, getrennt voneinander, wenn ich mich recht erinnerte: die Weiße in straffen Hosen, die nicht dort übernachtet hatte, soviel ich wußte (sie war auf ein Fahrrad gestiegen und schwungvoll in die Pedale tretend in der

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