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Dein Gesicht morgen: Tanz und Traum (German Edition)

Dein Gesicht morgen: Tanz und Traum (German Edition)

Titel: Dein Gesicht morgen: Tanz und Traum (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
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gebunden bin und ein wenig allein hier in London, nicht so sehr, wie Wheeler glaubt, nur ein wenig und nur manchmal; aber die Frauen gestehen sie sich ein, sie stellen sich ihr, ohne sie zu überhöhen oder mit Bedeutsamkeit aufzuladen, während wir Männer sie vor uns selbst zumeist mit bewußter Schonungslosigkeit formulieren, die daher ein wenig falsch ist, unser Denken ist endgültiger und trauriger, dafür gelingt es uns aber, uns nicht als leichtfertig zu sehen oder von der Einsamkeit geschreckt – was nebensächlich ist – oder vom Verlust des Verliebtseins – was wesentlich ist, aber auch unbedeutend. Und so fragen wir uns eher, um nicht zu erröten: Und wie lange dauert es noch bis zu meinem Tod?‹
    Ich spitzte die Ohren, denn mir schien, als käme die Musik jetzt deutlicher herüber, sie hatten sie wohl lauter gestellt, und als ich erneut schauend – nicht mehr in Gedanken versunken – schaute, sah ich, daß die drei schließlich begonnen hatten mit ihrem abgesprochenen Tanz. Er war elegant, weder hüpften sie noch liefen sie hin und her, vielmehr bewegten sie sich mit kurzen, wie soll ich sagen, sich schlängelnden Schritten vorwärts, die auch synchron waren, die gleichen zur gleichen Zeit, was sich bewegte, waren Füße und Hüften und der Kopf, der den Takt markierte, die Arme begleiteten nur wenig und knapp, leicht angewinkelt und leicht nach vorn ausgestreckt, so als hielte jedes ihrer Handpaare eine aufgeschlagene Zeitung. Das Trio rückte auf dem Holzboden voran, und zwar rasch, aber mit ihren knappen Schritten machten sie den Eindruck, als bliebe jeder auf seiner Position, als bewegten sich ihre jeweiligen Portionen oder zugeteilten Abschnitte des Bodens mit ihnen und als träte jeder immer auf dieselben Dielen; ich sagte mir – oder ich hörte es bereits besser, aus der Ferne –, daß sie vermutlich zu irgendeiner Melodie von Henry Mancini tanzten, es konnte der berühmte Peter Gunn sein, niemand erinnert sich noch, daß dieses Thema für eine alte Detektivserie im Fernsehen das Licht der Welt erblickt hatte, ich weiß nicht, ob sie jemals in Spanien zu sehen war, ich glaube, sie war ein Produkt der fünfziger Jahre (also fast vorsintflutlich) und natürlich in Schwarzweiß, ihre Musik ist jedoch nicht gealtert und hat sich mit der Zeit in einen Klassiker des eleganten modernen Tanzes verwandelt, wenn man einen Begriff hat von der eleganten Art und Weise, in der er getanzt werden muß, und jene drei hatten ihn durchaus. Wenn nicht, konnte es auch der Beginn der Filmmusik zu Im Zeichen des Bösen sein oder auf englisch Touch of Evil , ein Film von Orson Welles aus den gleichen Jahren, in denen kein Geringerer als Charlton Heston den Mexikaner mimte, es war erstaunlich, daß man es ihm abnahm, auch wenn er einen noch so großen Schnurrbart zur Schau trug von der ersten bis zur letzten Einstellung, und man nahm es ihm ab. Doch diese Musik ist weniger berühmt, und so entschied ich mich für Gunn . Es gibt wesentliche Musikstücke, die mit mir reisen, wenn ich rechtzeitig plane (ich tat es nicht, als ich aus Madrid abreiste, ich nahm wenig mit), oder die ich mir über kurz oder lang wieder kaufe, wenn ich eine gewisse Zeit in einem Land verbringe, und dazu gehören immer drei oder vier von Mancini, denn sie erheitern fast unfehlbar jeden trüben Tag, also suchte ich und holte die CD heraus, stellte den ersten Take auf Wiederholung, wie die drei von gegenüber es getan haben mußten (er dauert gerade nur zwei Minuten, und sie tanzten schon länger dazu) und ließ sie in meiner Wohnung erklingen, so wie andere Melodien andere Male, wenn ich zu erraten glaubte, was mein Tänzer tanzte, zum Teil zu meinem eigenen Vergnügen, zum Teil, um ihm die garantierte Lächerlichkeit zu ersparen, sich vor einem Zuschauer zu tummeln und zu bewegen und absurde Sprünge zu vollführen, der nicht hört, durch was sie ausgelöst werden, der nichts hört, obwohl ihm, dem Tänzer, das zweifellos egal wäre oder er gar nicht wußte, daß er ihn, den Zuschauer, hatte. Aber man sollte mehr Respekt als den üblichen gegenüber jemandem bezeugen, der ihn nicht erbitten kann.
    ›Luisas Sorge bedeutet vielleicht‹, dachte ich, ›daß sie in der letzten Zeit nicht viel ausgegangen ist und auch keine anregenden Besuche empfangen hat; daß sie nicht abgelenkt ist und das wiederum – möglicherweise –, daß sie mich noch nicht ganz ersetzt hat, sonst würde sie ein wenig Zerstreuung oder eine kleine, mehr oder

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