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Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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müßte. Weil es ihm beim besten Willen nicht gelingt, wirft ihm der Bildhauer mangelnden Einsatz vor, beklagt der Musiker. Der Bildhauer fragt, wo in München die Lesung stattfinden wird. Ob er etwa kommen wolle, fragt der Freund erschrocken zurück. Zum Glück spricht er so schnell, daß der Bildhauer die Rückfrage nicht versteht. Anderen gegenüber hat der Freund aufgehört zu erwähnen, daß jemand stirbt. Die Lüge ist ehrlicher. Der Eingriff ist ohne Komplikationen verlaufen, sagt die Augustinerin am Montag, dem 5. März 2007, um 11.48 Uhr. Gott sei gepriesen.
    Der Verleger fragte ihn nach der Lesung in Basel, ob er sich Sterbenden gegenüber anders verhalte. Wahrscheinlich schon, antwortete der Romanschreiber, wenngleich nicht so unmittelbar, daß er es bezeichnen könne. Der heilige Vorsatz: nichts tun nur wegen des Romans, den ich schreibe. Allerdings ist er darin wie jemand, der sich vornimmt, nicht an Schafe zu denken oder ans Meer. Seit er sich an das Selbstverständliche hält, stellt er fest, daß es nicht selbstverständlich zu sein scheint. Die Angehörigen wirken so überrascht und dankbar, wenn man nur mal ihre Nummer wählt, schon Karl Otto Hondrichs Witwe. Größer, nein: sagen wir realer ist sein Mitgefühl doch gar nicht. So banal es klingt und so oft es bereits angeklungen sein mag, ist es eine der wenigen wirklichen Einsichten, die er In Frieden gewonnen hat: Sterben stinkt. Die Gesunden scheinen Abstand zu halten. Vielleicht sind die Sterbenden und ihre Angehörigen eher froh, wandte der Verleger ein, daß nicht zu oft jemand vor ihrer Tür steht: Etwas strahlst du aus, daß sie dich gern einlassen. Ihm selbst kommt es manchmal vor, wenngleich er es dem Verleger nicht sagte, daß der Roman, den ich schreibe, nicht sein Leben behandle, sondern zu seinem Leben geworden sei. Donnerstag besucht ihn die Reporterin, deren Mutter gestorben ist, übernachtet sogar im Gästezimmer, obwohl sie bislang nicht mehr als zwanzig Minuten auf einer Hinterbühne geredet haben. Am Telefon sagt er der Frau, daß er sie am Hals und auf den Mund küßt. Er sagt, ich ziehe deinen Pyjama aus und streichele deine Brüste, deine Beine, die Innenseiten der Schenkel, deinen Bauch, ich streife dir das Höschen ab und verlauf mich in deinem Wäldchen, schlendre deine Lippen entlang und necke deinen Kitzler, wegen dem allein sich Persisch zu sprechen lohnt: djudjulu mit dem weichen /dj/ wie im englischen jolly , dem kecken Vokal und dem übermütigen Ausklang. Später kündigt er an, der Ungeborenen Frieden zu wünschen, sobald sich die Bauchdecke bewegt, salâm-o-aleyk . Die Frau spottet, daß er mit seinem Rücken als Erziehungskraft kaum mehr zu gebrauchen sei. Ob sie nicht doch in eine Wohnung mit Aufzug oder im Erdgeschoß umziehen müßten, fügt sie ernster hinzu. Keine Sorge, erwidert er, obwohl er sich kaum aus dem Hotelbett erheben kann, dieses und noch drei, vier, fünf weitere Babys trage ich dir noch täglich fünfmal die Treppen hoch, so viele du willst.
    Es ist mühsam, wenn ein Teil Deutschlands, der am Konferenztisch gegenübersitzt, vor Erregung spuckt, jedesmal wenn der Islam vom Grundgesetz spricht, es ist mühsam, nicht einfach aufzustehen und den Raum zu verlassen. Ein einziges Mal konnte er sich am 7. März 2007 in Berlin nicht beherrschen: Da wies er den durchweg unbeherrschten Freistaat Bayern darauf hin, daß dieser nicht demonstrativ zur Decke starren müsse, während sein Gegenüber redet, die Aversion sei allen Anwesenden hinreichend deutlich geworden und eine Nackenstarre daher unnötig zu riskieren. Daß die Justiz vernehmbar kicherte, versöhnte den Islam ein wenig, den keine vier Stunden später der Musiker in München mit einem Mundschutz und einem rollenden Infusionsgestell bereits auf dem Flur der Onkologie erwartete. Vor dem Krankenzimmer, das der Freund aus Köln nicht betreten durfte, war der Spender für Desinfektionsmittel angebracht, den er vom Krieg gegen den Terror kennt, der gleiche Hersteller sogar. Mit dem größtmöglichen Abstand setzten sie sich in den leeren Wartebereich. Als der Freund das Schlachtfeld übersah, billigte er auch innerlich, daß der Musiker sich in geheimer Mission durchschlug. In der Annahme, an diesem Tag sonst überhaupt keine Nahrung mehr zu ergattern, der Abflug morgens in Basel zu früh fürs

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