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Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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nächsten Punktierung, die Gnädige Frau will dem Freund aus Köln dennoch die Freude machen: Als du da warst, habe ich den Tod beinah vergessen, stöhnt sie. Nur am Schluß sei dieser Angstzustand zurückgekehrt, hâlate asabâniyat , Zustand auch der Wut und Aggression, der es ihrem Mann noch schwerer mache. Sie schämt sich dafür. Er muß bald wieder nach München, bald wieder mit ihr vergessen. Der Musiker bittet ihn per Kurzmitteilung, nicht mehr zu fragen, wie es geht. Ab dem nächsten Anruf wird der Freund ihm zur Begrüßung nur sagen, daß er seine Stimme hören wollte. Jetzt geht er einen Trockner kaufen. Einig ist er mit der Frau, daß die Ungeborene den Namen der Gnädigen Frau tragen soll.
    Â»Die weiseste Person, die ich je getroffen habe, war meine Gefährtin im Krankenhaus«, sagt Neil Young im Bordmagazin. »Ich erholte mich von den Komplikationen nach einer Operation, in der mir ein Aneurysma aus dem Gehirn entfernt worden war. Sie war ungefähr fünfundachtzig Jahre alt und vielleicht fünf Fuß groß. Eine alte schwarze Dame aus South Carolina. Da war eine junge Krankenschwester, die hatte nicht wirklich ein Gefühl für das, was sie tat, und so sagte die alte Dame ihr, was sie brauchte, ohne es zu sagen. Sie sprach niemals herablassend zu ihr, gab nur Beispiele. Ich fühlte, daß diese alte Dame tiefreligiös sein mußte, aber es war nichts Strenges an ihr, nichts Verbissenes. Eines Morgens wachte ich auf, es war so Viertel vor sechs, und schaute aus dem Fenster. Auf der Brücke draußen vor dem Zimmer lag Nebel, und ich sagte: ›Gut, das ist nun wirklich wunderschön.‹ Und sie sagte: ›Ja, das ist es.‹ Sie blickte zu mir herüber mit diesem fünfundachtzigjährigen Gesicht, das keine Linie aufwies, keine Anstrengung, nichts, und sagte: ›Der Herr nimmt dich also nicht. Du bist noch nicht an der Reihe.‹« Dann geht es weiter mit Sätzen über Mut, über Liebe, über Sex, jeder so weise, wie Neil Young es der Dame zuspricht, jeder wert, zitiert zu werden, über das Boxen und das Glück, das Denken zu vergessen und sich im Tun aufzulösen. »Als ich sechs war, wußte ich wirklich nicht, was Gott war. Aber ich wußte, was die Sonntagsschule war. Ich las viel über Gott, aber es langweilte mich. Ich konnte es nicht erwarten, daß die Sonntagsschule zu Ende war. Gott war nebensächlich bei alldem. Aber als die Zeit verging, wurde ich immer wütender, bis hin zu dem Punkt, an dem ich Religion nicht mehr ausstehen konnte. Haß ist ein starkes Wort. Aber ich wurde einfach wütender und wütender … bis ich schließlich nicht mehr wütend war. Ich schloß Frieden, weil ich dachte: Das ist nicht fruchtbar für mich. Ich lehnte das alles ab und fand Frieden im Heidentum. Jesus ging nicht in die Kirche. Ich ging zurück vor Jesus. Zurück zum Wald, zu den Kornfeldern, zum Fluß, zum Ozean. Ich gehe, wo der Wind ist. Das ist meine Kirche.« Und so etwas im Bordmagazin, mein Mekka ist eine Rose, mein Gebetstuch eine Quelle, die Steppe mein Gebetsteppich, zwischen Vielfliegerprogramm und Flyrobic. »Sein Dach / Sind Wetterwolken und der Boden ist / Sein Lager«, heißt es im Tod des Empedokles , den ich zu lesen angefangen habe. »Winde krausen ihm das Haar / Und Reegen träuft mit seinen Thränen ihm / Von Angesicht, und seine Kleider troknet / An heißem Mittag ihm die Sonne wieder, / Wenn er im schattenlosen Sande geht. / Gewohnte Pfade sucht er nicht.«
    Wartet man lang genug auf einen genügend begehrten Körper, so daß das längst ausgesprochene, erwiderte, aber nicht erfüllte Begehren im Laufe der Jahre in Bereiche tiefster Vertrautheit, der Freundschaft und Kameradschaft gesackt ist, dann löst, so erfuhr er, ein bloßes Berühren der Körperseiten auf einer Bank und das Streichen der Fingerkuppen über ihren Handrücken ein Gefühl wie von Feuer aus, das unerwartet in die Brust lodert und noch viele Jahre, vielleicht ein Leben lang brennen wird, bei großer oder kleiner oder mal großer, mal kleiner Flamme. Im weiteren Verlauf hört er, daß auch sie ihn geliebt hat vor egal wieviel Jahren und wahrscheinlich immer noch. »Wenn ich manchmal Gitarre spiele«, sagte Neil Young dem Bordmagazin, das der Liebhaber aus dem Flugzeug mitgenommen hat, »erreiche ich einen Punkt, an dem es sehr

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