Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
Vom Netzwerk:
die Rückfahrt nach Köln, aber erst einmal geht er in den Speisewagen und holt sich einen Kuchen oder ein Sandwich, damit er sich in Berlin nicht aufs Essen stürzen muß. »Es hat es mancher, der wohl stärker war, als ich, versucht, ein großer Geschäfftsmann oder Gelehrter im Amt, und dabei Dichter zu seyn«, erklärte Hölderlin seiner Mutter noch im Januar 1799 kategorisch. »Aber immer hat er am Ende eines dem andern aufgeopfert und das war in keinem Fall gut, er mochte das Amt um seiner Kunst willen, oder seine Kunst um seines Amts willen vernachlässigen.« Ein Jahr später hätte er eine Anstellung wie in Berlin auch angenommen. Der Leser hat für den Sinneswandel nur einen Nachmittag gebraucht. Wie die Nöte des Alltags Stück für Stück, Absage um Absage in den Vordergrund von ausgerechnet Hölderlins Leben rücken, der sich radikaler als alle Zeitgenossen der Dichtung verschrieben und den Dichter zum Propheten erhoben hat, ergreift mehr als alle Bildungsromane bis mindestens Mörike. Am 16. November 1799 gesteht er der Schwester, »daß es mich oft inkommodirt, nicht mehr der reiche Mann in Frankfurt zu seyn, um meinen Neffen zuweilen eine kleine Freude machen zu können«. Zu der Zeit muß er zum Bedauern des Herausgebers, dem dadurch bedeutende Schriftstücke verlorengingen, aus Papiermangel für Briefe schon häufig die Rückseiten von Manuskriptblättern verwenden, die er nicht vollendete. Mit dem Angebot, weniger: der Inaussichtstellung, bei einem kaum bekannten, wenn nicht obskuren Kleinverlag eine Zeitschrift herauszugeben, sofern er ausreichend Prominenz zur Mitarbeit bewegt, flackert die Möglichkeit eines Brotberufs auf, der wenigstens nicht ganz ohne Beziehung wäre zur Berufung als Dichter. Briefe werden geschrieben und wieder verworfen und wieder geschrieben, im persönlichsten Ton, aber schon vor copy and paste mit wiederkehrenden Versatzstücken, an den, an den, an den auch, nein, an den zu schreiben ist aussichtslos, oder vielleicht doch?, versuchen kann man es, ein Versuch schadet nicht (Schiller hat schon halb zugesagt, behauptet er gegenüber dem Kleinverleger), nur um die Abfuhr Schillers in noch drastischeren Worten zu empfangen als befürchtet und den höflichen Schlußsatz auch noch fälschlich als Wohlmeinen und ehrliches Interesse zu deuten. In der Hoffnung, daß Schiller ihn dennoch zu sich rufen könne, schiebt Hölderlin nach einem neuerlichen Schreiben die Abreise aus Homburg, wo er keine Beschäftigung und kein Geld mehr hat, monatelang hinaus. Aber Schiller antwortet nicht, auch nicht zwei Jahre später auf den letzten, schon flehentlichen Brief, Schiller antwortet nie mehr. Nun, mit Schiller war nicht zu rechnen. Aber nicht einmal der jüngere Schelling, der Hölderlin nun wirklich viel zu verdanken hat, erklärt sich zur Mitarbeit bereit. Den gequälten Ton der Absage des Saturierten an den erfolglosen Gefährten von einst kennt der Leser nur zu gut, als Unterzeichner und Empfänger. Man ist ja verpflichtet, man mag diesen armen, talentierten, etwas anstrengenden Menschen auch, der den Absprung ins wirkliche Leben verpaßt hat, man würde ihm auch etwas Geld zustecken, wenn es sich ohne Peinlichkeit bewerkstelligen ließe, und wäre auch sonst für manche Gefälligkeit bereit, sofern der Aufwand gering bleibt – aber seine eigenen, wertvollen Texte will man nun nicht in so ein publizistisches Loch stecken. Man hat auch so viel zu tun, will sich endlich einmal konzentrieren auf das eigene, große Werk, von den alltäglichen Problemen zu schweigen. »Ich bin jetzt eben in einer Lage u. Stimmung, die mir wenig zu schreiben erlaubt, was Deinen Brief auch nur inetwas vergelten könnte.« Später, bestimmt, das hoffe er sehr, werde sich seine Lage schon ändern (nicht daran denken, was einer wie Hölderlin später einmal sein wird, gewiß nicht Herausgeber einer bedeutenden Literaturzeitschrift). »Ich umarme dich. Dein treuer Freund Schelling.« Wie sehr spricht Hölderlins Desillusionierung von 1799 zum Leser, der 2007 freilich nicht um die physische Existenz fürchtet, um Nahrungsmittel, Kleidung, Brennholz, sondern lediglich um seine Bequemlichkeit, nicht um das Papier, das Hölderlin sich nicht mehr leisten konnte, sondern weil er nicht mehr den Ansprüchen seines sozialen Standes genügt. Von den viertausend

Weitere Kostenlose Bücher