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Armlänge von den Glücklichen entfernt von den Bäumen herabhängen, überhaupt Nahrung in Hülle und Fülle, körperliche Wonnen, Geborgenheit, wohlige Wärme. Geht es der Mutter schlecht, wird ihr Bauch allerdings zur Feuergrube, Hunger, Enge, Angst, Atemnot und Hitze. Den Widerschein der Hölle meinte der Vater im Gesicht jener zu sehen, die siechen, ohne sterben zu dürfen. Den Besatzungen beider U-Boote wird, wenn sie ans Deck treten, Mitgefühl zuteil selbst oder gerade von Unbekannten, ja, von Passanten. Für ein paar Tage scheint die Besatzung zu leuchten. Es ist das gleiche Licht. Was es zum Vorschein bringt, ist nicht dasselbe. Es ist das Gegensätzlichste. Aber ist der gleiche Mensch: Von Nasrin für Nasrin.
Mehr noch als gewöhnliche Babys haben Frühgeborene etwas Greisenhaftes. In den letzten Wochen einer regulären Schwangerschaft nehme ein Kind wenig an Länge, aber viel an Gewicht zu, erklärt es die Krankenschwester. Daà den Frühgeborenen aller Speck fehlt, macht ihre Gesichtszüge so fein, ihre Hände und Beine so schmal. Die Haut, so weich sie ist, runzelt sich an vielen Stellen. AuÃerdem die wenigen Haare, die fehlenden Augenbrauen und Wimpern, statt dessen Augensäcke. Die Augen, die sich mit gröÃter Mühe öffnen, wie Müdigkeit derjenigen, die ewig schon leben. Dann schauen, ohne Gefühle zu verraten. Nur schauen: In Frieden , wie der Roman heiÃen soll, den ich schreibe. »Wenn aber die Himmlischen haben / Gebaut, still ist es / Auf Erden, und wohlgestalt stehn / Die betroffenen Berge. Gezeichnet / Sind ihre Stirnen. Denn es traf / Sie, da den Donnerer hielt / Unzärtlich die gerade Tochter / Des Gottes bebender Strahl / Und wohl duftet gelöscht Von oben der Aufruhr. Wo inne stehet, beruhiget, da / Und dort, das Feuer. / Denn Freude schüttet / Der Donnerer aus und hätte fast / Des Himmels vergessen / Damals im Zorne, hättâ ihn nicht / Das Waise gewarnet. / Jetzt aber blüht es / An armen Ort ⦠/ Und wunderbar groà will / Es stehen. / Gebirg hänget                See, / Warme                Tiefe               es kühlen aber die Lüfte / Inseln und Halbinseln, / Grotten zu beten.« â Was sieht sie? fragt der Vater die Krankenschwester, nachdem sie beide lange in die Augen der Frühgeborenen geblickt haben. Er vermutet, daà die Krankenschwester Umrisse sagen wird, Konturen, Licht, Schatten, etwas in der Art. So hatte er es mal gelesen oder vom Ophthalmologen gehört, so liegt es für die Menschen nahe. Die Schwester überrascht den Vater mit einer Antwort, die viel näher liegt: Keine Ahnung.
Obwohl er an jeder Silbe, jedem langen Atemzug, jedem Seufzer, ach, wie schön das für sie sei, die Verzweiflung hört, die am anderen Ende der Leitung tobt, vermag der Freund aus Köln nicht das Juchzen in der Stimme zu unterdrücken. Er versucht es damit, den Bildhauer auf die Seite zu ziehen, die von einem auf den anderen Tag von der Trauer abgeschnitten wurde, berichtet anschaulich, wie die Frühgeborene aussieht, wie sie es sich in den Armen oder unterm Kinn bequem macht, daà sie bereits an der Brust trinkt und einen zufriedenen Eindruck macht, wenn sie satt ist, aber dann ruft der Freund, du muÃt kommen, du muÃt sie sehen, du muÃt sie jetzt sehen, das ist der Blick in eine Welt, die uns sonst verborgen bleibt, ruft beinah: ein Blick dorthin, wo Nasrin zurückgekehrt sein könnte (die Frage wäre: mit welcher Art des BewuÃtseins?, im Paradies wäre sie erst, wenn sie es erkennt), und der Bildhauer, der schon ach murmelt, ach ja, als ob er tatsächlich erwöge, nach Köln zu fliegen, erinnert sich, daà er seinen Sohn nicht allein lassen kann, der in der Onkologie liegt.
Man kann schon schreiben, wenn man glücklich ist. Aber man muà es nicht. Also kann man es auch nicht. Es ist ja nicht irgendeine Hochstimmung, kein Glück wie verliebt sein oder Gesundheit oder Sonnenschein und Meer. Die Geburt des eigenen Kindes ist das Glück schlechthin, dem Leben genügt und gleichzeitig einen Streich gespielt zu haben. Es ist das einzige Werk, das gegen die Kunst besteht, das einzige, das ebenfalls bleibt, nein, prinzipiell länger, sich immer weiter fortsetzt, bis zum Ende der
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