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Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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von Limburg oder Montabaur hinaus, die klassische Koje, um mit Migräne aufzuwachen. An Mitreisende hat niemand gedacht, als die Flatrate fürs Handy eingeführt wurde. Jetzt, da der Zug steht, kommen nicht einmal Funklöcher zu Hilfe. Wenn er es wenigstens bis Mannheim schaffte, wo zwar nicht Diotima, aber eine Domina wohnt, die er von Angesicht kennen möchte. Getränke sind frei, aber keine alkoholischen, wiederholt das Ärgernis rechts hinter ihm die Durchsage des Schaffners, die auch schon eine Wiederholung war, nur daß das Ärgernis sein Mundwerk an einen Konzertverstärker angeschlossen zu haben scheint. Daß das gemein sei, brüllt das Ärgernis noch hinterher, weil es der die das Angerufene bestimmt wissen wollte. Richtig gemein fand es der Handlungsreisende, als das Ärgernis sich im vorletzten oder vorvorletzten Telefonat an dem Wort warming-up festbiß, das /a/ von warming hell gesprochen wie in »Armut« oder »Adalbert«, das p wie ein b – wahming abb . Es ging um einen Abend zur Vorbereitung des Urlaubs auf Mallorca, den das Ärgernis mit dem oder der Angerufenen plante. An dem Abend würden sie sich aufwärmen für Mallorca, saufen also und also muß es der Angerufene gewesen sein oder das . Immerhin als Nachricht unter all den Informationen, vor denen der Handlungsreisende die Ohren nicht verschließen kann, geht durch, daß ein französischer Energiekonzern seinen größten Konkurrenten kaufen und dafür ENBW oder so ähnlich abstoßen möchte, den baden-württembergischen Versorger. Baden-Württemberg assoziiert der Handlungsreisende nicht, weil ENBW ihm etwas sagt, sondern wegen des Dialekts, den das Ärgernis zu allem Überfluß spricht: »Des ischt für uns ka Problem.« Das Ärgernis meint: abgestoßen zu werden von dem französischen Energiekonzern ischt ka Problem. Sie hätten so viele Anlagen und lukrative Verträge, daß sie gut wieder auf eigenen Beinen stehen könnten: »Des ischt für uns äscht ka Problem.« Das Ärgernis wiederholt den Satz, daß des äscht ka Problem für sie sei, so oft wie das Wort wahming abb , also sechs- bis siebenmal. Ja, aber für mich, riefe der Handlungsreisende, für mich ischt des äscht a Problem, sofern er Hoffnung hätte, sich Gehör zu verschaffen. So laut, wie das Ärgernis spricht, könnte der Handlungsreisende nicht mal schreien. Andere Mitreisende fangen im Großraumabteil an, Zimmer zu reservieren, fragt sich nur, ob in Montabaur oder in Limburg? Vielleicht reicht es für den Handlungsreisenden heute nacht nicht mal zum Bahnhofshotel, wenn jetzt schon alle Zimmer vergeben sind, und muß er sich bis morgen an der Beinfreiheit freuen, die ihm die erste Klasse beschert. Das Ärgernis kichert seinem »Liebling« gerade zu (also doch die Angerufene oder sind die Baden-Württemberger wirklich so selbstverständlich schwul, wie ihr Muslimtest behauptet?), was Schönes zu träumen: »Träum von mir.« Das werde ich auch tun, befürchtet der Handlungsreisende, nein, nicht was Schönes träumen, sondern vom Ärgernis. Jetzt wagt er es, das Ärgernis einmal zu betrachten, obwohl sein Nacken dabei fast so laut knirscht wie das Ärgernis redet: jünger als erwartet, blonde Locken, grau durchsetzt, weißes kurzärmliges Hemd, obwohl es keineswegs warm ist, also schweißanfällig noch dazu, die Krawatte wahrscheinlich in einem der beiden silbernen Koffer. Elektroingenieur, tippt der Handlungsreisende, Elektroingenieur bei ENBW , wenn er die Konsonanten richtig identifiziert hat, das E könnte auch Ö sein und das B ein P . Der Schaffner kündigt an, daß der Zug in Kürze wieder anfährt (hat die Person auf dem Gleis nun überlebt oder nicht?), so daß der Handlungsreisende vor der Entscheidung steht, ob er morgen früh schwimmt oder bei der Domina übernachtet, die er befragte, wie Herrschaft und Knechtschaft sich physisch anfühlen, was den Gesichtern abzulesen sei und was den Empfindungen dabei. Vor Jahren hat er einmal, ein einziges Mal, einen sadomasochistischen Stammtisch besucht – so wie es bei einem einzigen Tag Tantraseminar blieb, Gruppen sind eben nur in der Theorie erotisch, in der Praxis bilden die Dicken und Schwaben stets die Mehrheit, »Isch hab ka Problem damit« – und fragte er seither lieber im Chat, wie erlösend es sein

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