Dein Name
die Natur zweifach, u. die Verbindung ist unendlicher.«
Daà man es niemand sagen solle, nur den Weisen, wie Goethe das Gedicht beginnt, in welchem er ebendieses Geheimnis ausspricht, findet der Vater vollends bestätigt, seit die Frühgeborene kein Fall mehr für die Intensivmedizin ist. Im Mehrinkubatorenzimmer gehören die Eltern seit gestern selbst zur Menge, die gleich verhöhnet, so infantil und ohne Punkt quatschen die übrigen Eltern auf ihr Wunderwerk der Schöpfung ein. Reden wir auch so? fragte die Frau, als er vorhin an den Inkubator trat, um sie abzulösen. â Ich befürchte schon, nickte er und entdeckte einen weiteren Vorteil der Zweisprachigkeit: Wenigstens versteht keiner ihr herzallerliebst, weil es djunam , djudjeh , djudju, djuneh oder djun-e delam heiÃt. Verzückung wirkt auf AuÃenstehende prinzipiell neurotisch, wie selbst die Heiligen erfahren muÃten, aus heiligem SchoÃe glücklich geboren, drum ist ein Jauchzen ihr Wort. Nein! Soviel dummes Zeug wie jener Mutter am Inkubator neben dem Fenster fällt ihnen objektiv nicht ein, jedenfalls nicht in der Quantität, das lieÃe sich auch messen, allein schon die Stunden, wenn der iranische Vater neben dem Inkubator seiner Frühgeborenen still auf dem Laptop tippt oder Hölderlin liest. Aus dem Bauch einer solchen Ãbermutter zu schlüpfen setzt das Herzallerliebste hingegen schon vor der Ablauf der neun Monate dem nefas aus, dem Zwist, der Sünde, dem Frevel. Sie ist immer da, immer wenn der iranische Vater das Mehrinkubatorenzimmer betritt und wenn er es wieder verläÃt, morgens, nachmittags, abends redet sie auf das Kind ein wie eine Rentnerin auf ihren SchoÃhund, ihr Frühchen als bester Freund. Auf die Fragen, die an einem anderen der Inkubatoren gestellt wird, weià sie schneller eine Antwort als jede Krankenschwester, hört also jederzeit mit und findet es schon deshalb ärgerlich, daà das iranische Elternpaar keinerlei Bemühen zeigt, sich sprachlich ins Narrenensemble zu integrieren. Und dann tippt der iranische Vater auch noch die ganze Zeit in seinen Computer oder liest Bücher, als ob das hier ein Studierzimmer sei. Ihren eigenen Mann, schon von seiner Statur her unterlegen, toleriert sie als Versorger und Fragensteller. Gibt er mit seiner Unwissenheit häufig genug Anlaà zu reden, darf er unter strenger Aufsicht dem Baby die Flasche geben. Aber wehe, er läÃt sich eine ungeschickte Bewegung zuschulden kommen oder drückt auf dem Monitor den falschen Knopf, wie es ihm aus Nervosität alle naslang unterläuft. Dann verwandelt sich die Stimme, die herzallerliebst leiert, in ein rostiges Messer, das zusticht, bis der Mann wieder pariert. Daà die Ãbermutter sich über die Undankbarkeit beklagen wird, wenn später einmal das Kind nicht pariert, ist nicht nur eine Möglichkeit, die vor ihnen liegt, sondern psychologisch eine GewiÃheit. Unmöglich hingegen ist es, bei diesem Geschwätz länger Ontologie zu studieren. »Weil er des Unterschied zu sehr vergaà / Im übergroÃen Glück, und sich allein / Nur fühlte; so erging es ihm, er ist / Mit grenzenloser Ãde nun gestraft.«
Seit etwa anderthalb Stunden steht der Zug auf dem Bahnhof von Limburg, obwohl nirgends Limburg ist, links die Schallschutzwand, rechts die Autobahn, vor ihm Personen, die auf dem Gleis spazieren oder sich umbringen wollen. Umbringen? Person auf dem Gleis, hat noch kein Schaffner gesagt, solang sich der Handlungsreisende erinnert, immer nur Personen, obwohl Selbstmörder in der Regel doch Einzelgänger sind, und was sonst hat man nach 22 Uhr zwischen Limburg und Montabaur zu tun, als sich umzubringen. Nach Basel schafft er es heute nicht mehr, dabei hatte er sich so sehr auf die fünf Sterne gefreut, die ihm der Verleger verschafft hat, ein Zimmer, in dem er auf und ab gehen kann und schwimmen vor dem Frühstück. Mittags liest er auf der Messe, das Mittagessen bereits wieder im Zug, um die Ãltere nicht länger als nötig allein zu lassen. Daà er Geld verdienen muÃ, versteht sie und ist lieb zu den GroÃeltern. Mit dem Schwimmbad hätte er den Rücken für morgen besänftigt. Der Nerv rechts neben dem Brustwirbel wartet nur auf die Gelegenheit, den Verkehr lahmzulegen, und jetzt knurrt auch noch der Nacken bei jeder Umdrehung bedrohlich wie ein deutscher Schäferhund. Es läuft auf das Bahnhofshotel
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