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Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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könnte, seinen Willen aufzugeben, eine Domina, ja, aber nicht seine, obwohl er und bislang nur ihr auf Anhieb gehorchen würde. Er bot es ihr an, als sie schon per Mail korrespondierten, doch schien ihr sein Interesse wohl zu literarisch, womit sie recht behielt, wie mit allem anderen. Heute wird er bestimmt nicht alle Lust des Himmels in den Tränen suchen, die ich weine vor dir, selbst wenn er in Mannheim aussteigen sollte, weil er morgen für gutes Geld liest und keinen Hexenschuß riskieren darf. Desch wed wieda goyl, ruft das Ärgernis ausgerechnet jetzt, als hätte es seine Gedanken gelesen. Bitte, lieber Gott, fleht der Handlungsreisende, ich will nicht wissen, was goyl wird, bitte, verschon mich, laß deinen Blitz hinabfahren in alle Netze. Ob Hölderlin auch so gesprochen hat, so schwäbisch? Suzette erwähnt es in einem der Briefe, meint der Handlungsreisende sich zu erinnern. Ischt des gödlisch, wird Hölderlin also im Kornfeld gestöhnt haben. Wie verlockend erschien zwischen Schallschutzwand und Autobahn nahe Limburg plötzlich die »Leblosigkeit«, die Hölderlin nicht nur zugab, vielmehr wollte und reflektierte: »Je unendlicher, je unaussprechlicher, je näher dem nefas die Innigkeit«, stellt er im Allgemeinen Grund zum Empedoklesklar, »um so weniger kann das Bild die Empfindung unmittelbar aussprechen, es muß sie so wohl der Form als auch dem Stoffe verläugnen, der Stoff muß ein kühneres fremderes Gleichniß und Beispiel von ihr seyn, die Form muß mehr dem Karakter der Entgegensetzung und Trennung tragen.« Aber muß es denn wirklich immer »eine andere Welt, fremde Begebenheiten, fremde Karaktere« sein, kann der nefas , wenn Hölderlin schon keine Landsleute mit stadionlauten Telefonaten traktierten, nicht mal aus Bauchweh oder Zahnschmerzen bestehen, eine Blasenentzündung, das wäre doch auch mal spannend, anstatt Pausanias nach »Italias Gebirg« zu verabschieden, wo »das Römerland, das Thatenreiche, winkt«. Und dann diese Oden, zweite Pythische Ode, »Demselben Hiero. Zu Wagen«, achte pythische Ode, »Dem Aristomenes, Aegineten, Ringer«, zehnte pythische Ode, »Hippokles, dem Thessalier. Dem Doppelrenner«, und so weiter bis zur zwölften, um noch vierzehn olympische Hymnen anzuhängen, die wenigstens keinen Wagen oder Doppelrennern gewidmet sind, wo der Handlungsreisende nur an BMW denken kann, seit der türkische Automechaniker ihn überzeugte, daß »in Deutschland du mußt deutsche Auto fahren«, BMW gebraucht günstiger als Mercedes, alle anderen zu klein, um mit Sonnenbrille und dröhnender Rockmusik den linken Ellbogen ins offene Fenster zu legen, den rechten Arm auf der Lehne des Beifahrersitzes auszustrecken. Wie ein Trinker, der sich vormacht, aufhören zu können, sobald es zuviel wird, redete er sich ein, nur so lange am Platz zu bleiben, wie es den einen oder anderen interessieren könnte, wenigstens die Freunde, später die Kinder oder einen einzigen Enkel, wenn schon nicht die allgemeine Leserschaft, die Großvater ebenso verfehlte. Als der Romanschreiber zum Jahreswechsel meinte, daß der Roman, den ich schreibe, noch das letzte Stück Spannung verloren hat, nahm seine Geschichte unverhofft Fahrt auf. Tod und Geburt verfangen immer, in den abgeschmacktesten Historien. Aber wenn er jetzt fortfährt, da beides abgehandelt, ist er allein. Er sollte den Absatz umgehend löschen. Sie würden davon nicht erfahren. Er würde weiter so tun, als habe er aufgehört. Der Schaffner begrüßt alle Fahrgäste, die am Frankfurter Flughafen zugestiegen sind.
    Die Session mit einem Handschuhfetischisten bestand nur darin, daß der Fetischist vor ihr kniete und sie sich unterhielten, ganz normal unterhielten, wie man sich eben unterhält, wenn man Zeit miteinander verbringt, ohne sich vorher gekannt zu haben, in einem Café oder im Zug oder in der Pause, nur daß der Fetischist vor ihr kniete und sie beständig, gleichsam unbeabsichtigt, die Hände mit den ellenbogenlangen Nappaleder-Handschuhen bewegte. Der Fetischist war nackt, beantwortet die Domina seine Frage in Mannheim, natürlich, und hatte die gesamte Stunde über eine Mordserektion. Zwischendurch erlaubte sie ihm, also dem Fetischisten, ihr die Handschuhe abzustreifen, denn auf dem Photo im Internet hatte sie glanzrote Latexstulpen getragen. Doch nicht diese holte sie

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