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am Hof des indischen Dorfkönigs â der dem Helden selbstverständlich die Geliebte buchstäblich vor den Augen wegschnappt, nur um sie wieder an den zufällig ebenfalls durch Indien tourenden Kunstguru zu verlieren, mit dem die Frankfurterin eigentlich verbandelt ist: das ist so durchsichtig, daà man begreift, wie gleichgültig Martin Mosebach die Konstruktion ist, die er scheinbar bedient, die immer gleichen Konstellationen, ein ähnlicher Plot, die merkwürdigen Fügungen, dieselbe ironische Tonlage. Itâs all one song , rief Neil Young, als sich bei einem Konzert jemand lauthals beschwerte, daà alles gleich klinge. Den Unterschied macht nicht die Geschichte, die beliebig, ja austauschbar anmutet, sondern der Mut, sich in eine einzelne Situation, eine abseitige Episode von vielleicht zehn, vielleicht fünf, vielleicht zwei Minuten Realzeit hineinzustürzen wie in einen reiÃenden FluÃ, sich darin zehn, fünfzehn, dreiÃig Seiten treiben zu lassen, ohne einen Gedanken zu verschwenden ans Ufer, an das, was drauÃen in der Handlung passiert. Mosebachs Romane wirken auf mich an diesen Stellen wie Improvisationen des Jazz oder mit Crazy Horse , die sich häufig aus den banaleren Stücken entwickeln, um die Komposition in den besten Momenten hinter sich zu lassen, ja sie für den Augenblick vollständig zu vergessen. Am weitesten treibt er diese wahrhaft mystische Hingabe an das Objekt des Erzählten im Beben , das in Frankfurt einsetzt wie ein typischer Mosebach-Roman, um sich im zweiten Teil in eine literarische Meditation, eine einzige groÃe Situationsbeschreibung zu verwandeln, die schon in ihrer Proportion nach in keinem Verhältnis steht zu dem viel kürzeren ersten Teil und dem winzigen SchluÃteil. Auf diesen gut zweihundert Seiten, in denen so gut wie nichts und in wenige Szenen gepreÃt alles passiert, bricht Mosebach nicht bloà die Form des Romans auf, er bringt sie zum Bersten. Spannung, Realzeit, dramatische Entwicklung im konventionellen Sinne spielen darin keine Rolle mehr. Im Beben geben Sie preis, behauptete der jüngere Kollege, daà Ihr Glauben an den Roman so verwegen, so anmaÃend, so absurd und sogar lächerlich ist wie der Glauben des Don Quijote, ein Ritter zu sein. Weil der berühmte Schriftsteller nickte, wagte der jüngere Kollege fortzufahren: Aber genau durch das Scheitern â das ist der Clou â wird Don Quijote zum Ritter, werden die Windmühlen zu Riesen, gelingt Ihnen der Roman.
Wie es begann, kann der Mann diesmal bis auf die Minute datieren. Während der Tee zog, erinnerte ihn die Frau am Telefon an den Termin mit dem Bankberater, der nichts Geringeres als die langfristige Sicherung ihrer Existenz versprochen hatte. In der Stunde, die ihm blieb, wollte er noch die Verbindung Mosebachs zu Don Quijote ausführen, der nicht allein für den Ursprung modernen Erzählens steht, sondern zugleich noch die Züge des Epos und der Märchensammlung trägt, um zum Schluà des vorigen Absatzes auf die Form des Romans zurückzukommen, die Mosebach preisgibt, indem er ihr treu bleibt, doch brach der Bogen ab, den er sich so schön ausgedacht hatte, als er mit der einen Hand Platz schaffen wollte für das Tablett, das er in der anderen Hand trug, weil es ihm wie einem Mosebachschen oder Cervanteschen oder auch Dodererschen Trottel mitsamt der vollen Teekanne und der Zuckerdose zu Boden fiel. Den GroÃteil der verbliebenen Stunde war er damit beschäftigt, abwechselnd auf dem Boden herumzukriechen, sich über den Schreibtisch zu beugen oder am Regal zu hocken, um den Zucker, der sich mit dem Tee vermischt hatte und sich deshalb nicht saugen lieÃ, zu beseitigen und hektisch den kostbaren Isfahani zu reinigen, den Seidenteppich wohlgemerkt, aber anschlieÃend sich selbst auch. Wer nur sein schwitzendes Gesicht gesehen, seine Seins- und Selbstverwünschungen gehört hätte, würde einen Existenzkampf vermuten, aber die groÃe, dichte Staubwolke am Horizont wird ja auch nur für Don Quijote »von einem groÃmächtigen Heere« aufgewirbelt, »aus den verschiedensten unzählbaren Völkern zusammengesetzt«, wohingegen es für den Leser eine Schafherde bleibt, gegen die der komische Ritter zu Felde zieht. So waren auch die Teeflecken nur subjektiv das Dunkel unserer Existenz. Die Mieter von der anderen Seite des Innenhofs, die amüsiert beobachtet haben
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