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Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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Banken mit ihren blitzblanken Schaltern und Sekretärinnen im knielangen Rock, den mechanischen Kassen und Tresorräumen, festen Arbeitszeiten und Betriebsausflügen wird es damals schon gegeben haben? Nicht mehr als vier oder fünf im gesamten Land, vermute ich. Großvater repräsentierte in Isfahan die neue Zeit. Und wieviel Mut es forderte, als Dreizehn- oder Vierzehnjähriger allein nach Teheran zu reisen, freiwillig, unter den damaligen Verhältnissen, doch Großvater schildert nur die Angst. Nicht nur erklärt er sich für unbedeutender als Doktor Jordan; er fühlt sich sogar zu unbedeutend, Doktor Jordan angemessen zu würdigen. »Andererseits ist es unmöglich, die Verhältnisse an der Amerikanischen Schule in Teheran zu schildern, ohne den reinen Namen dieses großen Mannes hervorzuheben, auf seine Eigenschaften einzugehen und Gottes Barmherzigkeit für ihn zu erbeten.« Großvater schrieb auch ein Totenbuch, anders als meins, nicht weniger buchhälterisch. Abgesehen von Werken sind wir die Menschen, denen wir begegnen, also unsere Gegenüber, Aufrührer wie Alichan und Sonderlinge wie Herr Bachtiar. Das Leben ist nicht so gut, daß es uns nur an Samariter vermittelt. Und doch – wahrscheinlich geht es den meisten so, mir auf allen Reisen – und doch zeigt es sich mit Blick auf die Menschen, die wir sind, freundlicher, je länger wir blicken. »Dem Egoismus, dem Despotismus, der Menschenfeindschaft bin ich feind, sonst werden mir die Menschen immer lieber, weil ich immer mehr im Kleinen und im Großen ihrer Thätigkeit und ihrer Karaktere gleichen Urkarakter, gleiches Schicksaal sehe«, schrieb Hölderlin auf den Tag genau vor 198 Jahren. Die Lehrer der Amerikanischen Schule führe ich nicht mehr namentlich auf, mögen ihre Seelen dennoch froh sein.
    Die sexuelle Abstinenz, die die Frau erwartet (nicht einmal legt sie Hand an), verleitet unterm bewährten Decknamen Bellarmin zu einer orientalinbi als Protagonistin seines Kopfpornos, die ihm eine Serie von Bildern anvertraut ihres Gesichts, ihrer kugelrunden Brüste und der Schamlippen, die mit zwei metallenen Kügelchen verziert sind. Auf zwei Bildern schiebt sie eine Möhre, auf einem anderen Bild ihre Finger in die Scheide. Auf einem weiteren Bild ist im Spiegel die Digitalkamera zu sehen, mit der sie sich aufgenommen hat. Was unter anderen Umständen oder für andere Menschen erregend sein könnte, beschämt in der Nacht zum Dienstag, dem 19. Juni 2007, schon unterm Aspekt der Zeitverschwendung. Um erregend zu sein, bedürfte es eines freien Willens, und sei es die Freiheit, den Willen aufzugeben. Er jedoch ist so fixiert auf die Entladung und fremdbestimmt von Testosteron, daß alles dabei ist außer Spaß und Leichtigkeit wie sogar bei Hölderlin. Manchmal muß ich laut lachen, etwa wenn in den herzzerreißenden »Klagen« des Liebenden hinter dem Namen Stella in Klammern stets Fanny steht, wie die Angebetete in der ersten Fassung noch hieß: »Siehe (Fannys) Stellas Tränen / Sehet diese (Fanny) Stella haßt ihr / Stella! (Fanny!) vergiß mich /Stella! (Fanny!) ach!« Mit dem zweiten, durchgestrichenen Namen ist die Anbetung gleich viel näher am Leben, denn wer hat nicht schon einmal seine Liebeserklärung recycelt? »Also ich mags gerne hart«, gesteht um 3:23 Uhr in einem anderen Fenster AnjaHighHeels : »wenn du mal lust hast;o)« Während er sich ein weiteres Mal vornimmt, nun endgültig sich auszuloggen, schlägt er orientalinbi bereits die nächste Schweinerei vor. Was er als Abiturient über die Zwangssteuerung durch das männliche Geschlecht in den Feminismusbüchern las, die die Freundin ihm zum Lesen auftrug, bestätigt sich ihm zwanzig Jahre später. Schäbig nutzt er sein Talent aus, sich in der Diktion an jede beliebige Person zu pirschen. Immer noch besser, so bringt er zu seiner Verteidigung vor, seinen Geifer virtuell zu hinterlassen als auf wirklicher Haut. Keine Anmache ließ er sich zuschulden kommen, seit die Frau ihn zur Enthaltsamkeit verpflichtet hat, die Begegnungen, die ihn berührten, lustvoll ohne Sex, sogar ohne sexuelles Verlangen im engeren Sinne, ging Situationen eher aus dem Weg, in denen sein Geschlecht das Ruder übernehmen konnte, und nutzte die überschüssige Einfühlung zum Beispiel diese Woche zu einer Petition für oder gegen. In dem Lob für seinen

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