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sie müsse selbständig erkannt werden, beschwört GroÃvater seine allgemeine Leserschaft, und erinnert sie an den Ausspruch des Imam Ali: »Der Gelehrteste ist der, dessen GewiÃheit sich durch Zweifel vermehrt.« Katzenfurt heiÃt die Raststätte in Richtung GieÃen. Kommt man von Frankfurt und Bad Nauheim, heiÃt die Autobahnraststätte kurz vor Siegen Dollenberg.
Der 22. Juli 2007 beendet die Friedensverhandlungen zwischen Gott und den Blaugewandeten morgens kurz vor sechs mit der Nachricht, daà der Vater wieder blutet, es mit der Atmung nicht klappt, die Herz-Lungen-Maschine wieder eingeschaltet werden muÃte, das Röntgenbild Anzeichen einer Lungenentzündung aufweist und ⦠das Schlimmste sind die Blutungen. Die Kardiologen wollen noch ein, zwei Stunden abwarten und dann, so der Blutverlust nicht wider Erwarten nachläÃt, erneut den Brustkorb aufsägen, eine ähnliche Situation wie am Mittwoch, nur daà die Komplikationen nach der dritten Operation am offenen Herzen wahrscheinlicher, auch schwerwiegender sein würden und die Hoffnung geringer, eine Wunde vorzufinden statt diffuses Blut. Hinzu kommen die zusätzlichen Tage, die der Vater durchgehend in Narkose sein würde, noch mindestens bis Donnerstag, Freitag, die Gefahr der Lungenentzündung, die durch den fortdauernden Einsatz der Herz-Lungen-Maschine noch stiege. Selbst wenn die Operation gelänge, was unwahrscheinlich genug ist, wäre die Wahrscheinlichkeit hoch, daà die Wunde sich entzünden und eitern würde, so daà den Vater über Monate schlimme Schmerzen in der Brust plagen würden und er sich so gut wie nicht bewegen dürfte. Alle drei Tage würden bei lokaler Narkose die Binden ausgetauscht, die den Eiter aufsaugen. Der Jüngste ist nicht sicher, wie es dann mit dem Lebenswillen des Vaters aussähe, den die Enkel nur noch den »Stürmer« nennen, um sich Mut zu machen (von irgendwem haben sie das Wort aufgeschnappt und fanden es treffend). Der Internist bezweifelt, ob der Lebenswille, so stark auch immer, dann noch ausreichen würde bei einem Achtzigjährigen, dem man über Monate am Herzen rumfuchtelt, unter chronischen Qualen und ebensolcher Todesangst, bei völliger Regungslosigkeit und vollem BewuÃtsein. Würde der Vater sie nicht fragen, warum sie ihn nicht haben sterben lassen? Darüber lieÃe sich wahrscheinlich lange philosophieren, theologisieren und psychologisieren, nur müssen die Brüder es im gegebenen Fall wohl innerhalb von Minuten entscheiden. Wenn irgend nur möglich, erklärt der Internist, den der Jüngste diesmal in Siegen abholt, um gemeinsam zum Herzzentrum zu rasen, vor dem die Mutter wieder auf und ab geht, wenn irgend nur möglich, bleibt die Brust zu. Das »Niemand operiert so etwas gern« des Chefarztes klingt dem Jüngsten noch im Ohr, und das bezog sich auf den ersten Eingriff. Ein, zwei Stunden nach ihrer Ankunft im Herzzentrum die erste Neuigkeit: keine Veränderung, was nahe an der schlimmstmöglichen Veränderung liegt, allerdings ist der Oberarzt gerade mit einem anderen Herzen beschäftigt und soll das Herz des Vaters nicht mit dem Assistenten vorliebnehmen. In höchstens einer Stunde ist der Oberarzt soweit. Eine Stunde ist vergangen, behauptet die Uhr, als in der ungewöhnlich belebten FuÃgängerzone des Kurorts das Handy des Internisten klingelt und dessen Blick aufs Display dem Jüngsten verrät, daà es die Intensivstation ist. Ungleich schneller als sein Navigator berechnet der Jüngste die wahrscheinlichste Route. Fest steht erstens: Eine Intensivstation ruft nur in Fällen an, die selbst für die dortigen Verhältnisse dringend sind. Fest steht zweitens, daà der Vater operiert wird. Und schlieÃlich steht fest, daà die Operation unmöglich schon zu Ende sein kann, erfolgreich zu Ende. Ein paar Minuten bevor sein Handy klingelte, hatte der Internist gestanden, daà seine Hoffnung nur noch darin gründe, keine Hoffnung mehr zu haben, schlieÃlich seien bisher alle Hoffnungen enttäuscht worden und könne das der Hoffnungslosigkeit doch genauso widerfahren. Kurz darauf klingelt sein Handy und ist der Jüngste auf der Ãberholspur in Richtung seines eigenen Bestimmungsorts. Erregt zeigt der Internist mit dem Daumen nach unten. Der Jüngste denkt im ersten Augenblick, der Vater sei tot, dann hört er das Wort »deutlich«
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