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Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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Besuch, zog er sich um und setzte sich zu den Gästen, aber er sagte so gut wie nichts mehr, außer Forderungen wie »Bring Wasser, Kind!« oder »Ich möchte jetzt essen!«. Mich fragte er nach dem Befinden meiner Eltern oder Brüder, aber schon die Antwort schien ihn nicht mehr zu interessieren. Er war bereits fort. Womöglich war das, was wie Verblödung wirkte, nur die Konzentration auf das, was ihm bevorstand.
    Als Kind mochte ich Herrn Ketabi gern, ohne auf ihn zu achten. Er hatte einen freundlichen Gleichmut, auf den die Kinder vertrauen konnten, und ließ sich gelegentlich herab, mit mir Backgammon zu spielen. »Mit was hat er eigentlich gehandelt?« fragte ich meinen Vater, da Herr Ketabi seine Tage schon in meiner Kindheit zu Hause verbrachte. »Mit seinem Gehirn«, antwortete mein Vater. Seine Geschäfte tätigte er am Telefon. »Junge, was sagst du? Sieben Kaschan? Wie groß, welches Jahr? Und die Knüpfung? Wieviel will er haben? So viel? Hundsvater, der. Na, kauf mal, kriegen die schon los, Junge«, und zwei Jahre später verkaufte er sie fürs Doppelte.
    Einen Sommer verbrachten wir am Kaspischen Meer in der Villa seines Bruders, der noch mehr Geld besaß. So klein ich war, drei oder vier Jahre, den Photos nach keinesfalls älter, erinnere ich mich an viele Details, den Garten mit Palmen, den Duft der gebratenen Maiskolben, den breiten, dunklen Strand, den ich einmal allein entlangschlenderte, um bereits den Schock meines Lebens zu erleiden. Ich stieß auf eine Menschenmenge, die den Fischern dabei zuschaute, wie sie die Störe aufschlitzten und mit schwarzrotbeschmierten Händen den Kaviar aus den Bäuchen holten. Heulend rannte ich den weiten Weg zurück in die Villa, der in Wirklichkeit sehr kurz gewesen sein muß, übergab mich und war zwei oder drei Tage lang krank, wie mir meine Mutter später bestätigte. So verdanke ich Herrn Ketabi oder genau genommen seinem Bruder meine Fischphobie.
    Als die Ketabis noch in dem alten Haus wohnten, träumte ich davon, vom ersten Stock in das Schwimmbecken zu springen. Die Höhe war nicht das Problem, ich sprang damals locker vom Zehner, aber der Abstand zum Becken. In dem Haus hatten sie eines dieser klassischen iranischen Herrenzimmer, die ich liebte. Sie sind mit nichts eingerichtet als mit einem oder mehreren Teppichen, die den gesamten Boden bedecken, sowie Kissen an den Wänden. In Herrn Ketabis Zimmer genügte ein einziger Teppich, fast eine Brücke, so klein war es, mehr eine Reminiszenz an die alten Zeiten, denn groß mußten die Wohnzimmer sein für die vielen und in meiner Zeit immer schon gemischten Besuche, die ihre Schuhe nicht mehr vor der Tür auszogen. Herr Ketabi hatte sich das Herrenzimmer, das man weiterhin nur auf Socken betreten durfte, wenigstens en miniature bewahrt, mochten auf dem Teppich gelegentlich auch Damen Platz nehmen.
    Was ich mit Herrn Ketabi am meisten verbinde – und bestimmt nicht nur ich unter meinen Verwandten –, ist der süße Duft des Opiums. Später durfte ich auch mal an der Pfeife ziehen. Solange es irgendwie ging, bis zum zweiten oder dritten Herzinfarkt, rauchte Herr Ketabi Opium. Als die Kontrollen nach der Revolution strenger wurden, ließ er sich sogar ein Attest ausstellen, dank dem er die Droge legal erwarb. Seine Familie hatte alle möglichen Verbindungen. Sicher, im nachhinein weiß ich, daß sein freundlicher Gleichmut auch mit der Droge zu tun hatte. Soweit ich es selbst erfahren und an anderen beobachtet habe, entspricht ihre Wirkung keineswegs der Vorstellung schummriger Opiumhöhlen, in denen Süchtige halb übereinander, halb auf dem Boden vor sich hin dösen. Mich hat Opium aufs angenehmste geweckt, mein Bewußtsein auf extreme Weise sensibilisiert und mich den Mitmenschen geöffnet. Wie die Wirkung ist, wenn man regelmäßig raucht, weiß ich nicht. Herr Ketabi jedenfalls wirkte nie betäubt, eher wohlwollend und durchaus am Geschehen ringsum interessiert. Für seine Geschäfte setzte er die Pfeife nur kurz ab. Er trank auch gern, als ich später dabei war, am liebsten Whisky mit den Söhnen. Sein Schwiegersohn, der als Professor einer amerikanischen Universität ein iranisches Ministerium beriet, zauberte einmal eine gute Flasche duty free aus dem Handgepäck, da haben wir alle gestaunt. Der Staatssekretär hat mich abgeholt, lachte der Schwiegersohn, da nahm

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