Dein Name
erweitern. In welcher Stadt sie wohnt, fragt er FrAndrea33 in der unwirklichen Aussicht, daà sich etwas AuÃergewöhnliches ereigne. Er kommt sich vor wie ein Geier, der nach Aas sucht, nein, schlimmer: nicht wie ein Geier, denn ein Geier hat keine Beziehung zum Lebewesen, von dessen Vernichtung er sich nährt, sondern wie ein Vampir, ein Zombie oder Sexualverbrecher, dessen Perversion die Beziehung voraussetzt, die er eingegangen zu sein glaubt. Sonderbar penetrant fragt der Bogen nach den finanziellen Verhältnissen der Ehe, ob es MiÃverständnisse, Konflikte gab und so weiter. Nein, nein und nochmals nein. Der Romanschreiber fragt Menschen aus, weil er sie einmal bedenken könnte, und hat die Lesung in Frankfurt zugesagt, um den Soziologen zu besuchen, der unheilbar an Krebs erkrankt ist. Ich weise Sie darauf hin, daà alles, was Sie sagen, gegen Sie verwandt werden kann, hätte er bei der BegrüÃung am liebsten erklärt, während die Tochter bei Bekannten wartete, ohne zu verstehen warum: Deine Lesung ist doch erst abends. Hätte er den Soziologen nicht besuchen sollen? Beim Abschied kündigte dessen Frau in einem Anflug von Beschwingtheit an, im Herbst, sofern es die Krankheit noch zuläÃt, ins Rheinland zu reisen und gegebenenfalls sehr gern nach Köln. Weitere Punkte heimst die Ehe bei den Fragen zum Sexualleben ein, vorausgesetzt freilich, daà die Frau dieselben Kreuze macht, ansonsten würde es peinlich. Selbst wenn sie nicht mehr miteinander sprachen, sprachen die Körper, hätte es in einem Roman geheiÃen, wie er ihn früher schrieb. Die winzige Digitalkamera, die er seit neuestem mit sich herumträgt, hat er auf dem Balkon des Soziologen allerdings nicht ausgepackt und wird er nie wieder mitnehmen, ob aus verbliebenem Respekt oder Mut, der noch fehlt. Man wird nur seinen Rücken sehen, sonst nur den Soziologen, es wird ein Dialog sein, der nicht ausgedacht sein kann, Sekunden der gröÃtmöglichen Nähe und Mitmenschlichkeit, die nicht möglich waren ohne ehrliches Erbarmen, und zugleich aufgeschrieben wurden, aufgeschrieben werden sollten, verwendet ohne Skrupel. Und sein Beruf? Arbeitslos würde er eintragen, wenn es die Prognose nicht senkte. Romanschreiber macht sie nicht besser.
Im Internet, mit dem er in der Wohnung drahtlos verbunden ist, findet der Enkel keinen Eintrag, wer dieser Hossein Ali Rasched war, egal, wie er den Namen schreibt, nur Hinweise auf Hossein Ali Rashid, den »Gift-Ali« Saddam Husseins, dessen Hinrichtung gerade aufgeschoben worden ist, wie der Enkel bei der Gelegenheit erfährt. Der Enkel ruft seine Mutter an. Die Mutter ist beim Internisten, aber auch der Vater kann ihm sagen, daà Hossein Ali Rasched ein aufgeklärter Geistlicher war, der unterm Schah im Radio predigte, ohne sich ihm anzubiedern. »Ich fühle mich diesem Hochwürdigen verpflichtet«, schreibt der GroÃvater, »und verstehe die Widmung dieses unbedeutenden Werkes als ein Mittel, meinen Glauben zu bekunden.« Vermutlich schickte er das Manuskript an Radio Teheran mit der Bitte, es an den verehrten Prediger weiterzuleiten, und Dank für die Bemühungen der Verantwortlichen. Wenn sie vom Einkaufen zurück ist, wird der Enkel die Mutter fragen, ob der GroÃvater eine Antwort erhielt. So Gott will denkt er daran, sich auÃerdem zu erkundigen, wann der GroÃvater die Selberlebensbeschreibung verfaÃte. Gedruckt wurde sie nie, obwohl der GroÃvater eine Veröffentlichung im Sinn gehabt haben dürfte, sich jedenfalls als Zeitzeuge an eine allgemeine Leserschaft richtete, die an historischen Schilderungen interessiert war. Vor vielleicht sechs oder sieben Jahren schnappte der Enkel während einer Reise nach Iran zufällig auf, daà die jüngste Tante das Manuskript zum Abtippen brachte, und bat sie, auch ihm eine Kopie anfertigen zu lassen. Das Heft mit dem himmelblauen Umschlag nahm er mit nach Deutschland. Ein paarmal las er ein, zwei oder auch mal fünf Seiten, nur um es wieder zurück ins Regal zu stellen. Weder ist der GroÃvater ein mitreiÃender Erzähler gewesen, noch sind seine Erinnerungen, soweit der Enkel die Tanten und die Mutter darüber sprechen hörte, spektakulär. Der GroÃvater wird keine Geheimnisse verraten, keine alten Streitereien aufgewärmt, persönliche Krisen allenfalls angedeutet und im übrigen darauf geachtet haben, niemanden zu verletzen.
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