Dein Name
nicht aus, wenn wir zu Mittag aÃen. Ich wuÃte nicht einmal, ob Elwert seine Mails noch las. Ich hätte ihn besuchen können, ja, mehrfach war ich im Kolleg, hundert Meter â aber sollte ich einfach so klingeln bei den Elwerts, hallihallo, wolltâ mal sehen, wieâs Ihrem Mann so geht oder deinem Papa, in der Hand Blumen und oder mein aktuelles Buch mit Widmung? Ich wuÃte nicht einmal, ob Elwert noch zu Hause wohnte oder in der Klinik lag. Oder in der Hospiz oder schon tot war. Ich hätte anrufen können, das Sekretariat führte seine Nummer gewià im Computer. Aber am Telefon hätte mir die Stimme versagt. Wie hätte ich mich vorgestellt? Entschuldigung, verzeihen Sie die Störung, mein Name, habe Herrn Elwert ein paarmal getroffen, rufe an ⦠weil ⦠ja ⦠Warum? hätten die Angehörigen gefragt. Ich fürchtete einen Kondolenzanruf vor der Zeit und noch mehr, mich nach seinem Befinden zu erkundigen, wenn er vielleicht schon gestorben war.
Selbstverständlich rechne ich mir das Schweigen, die Lähmung, wenn nicht gar die Trägheit als moralisches Versagen an, als Sünde. Weià Gott war es nicht das erste Mal, daà ich sie beging. Meine Lehrer Abdoldjavad Falaturi und Annemarie Schimmel sind viele Wochen lang gestorben, ohne daà ich sie noch einmal besucht, ihnen wenigstens einen Gruà geschickt habe. Schon weil die Strafe nicht erst im Himmel erfolgt, sondern sich als Schuldgefühl ungewöhnlich hartnäckig hält, war ich mir sicher, sie nie wieder zu begehen, als mich bei der Zeitungslektüre der lang erwartete Nachruf auf Georg Elwert widerlegte.
Kennengelernt habe ich ihn auf einem stürmischen Podium am Samstag nach dem 11. September 2001 im Berliner Wissenschaftszentrum, bei der wir zwei uns die Argumente und Beobachtungen zuspielten, als seien wir eine Forschungsgemeinschaft und dazu noch alte Kumpane. Schon während dieser Veranstaltung, später durch seine Texte und in Gesprächen habe ich von Elwert viel über die Ãkonomie der neuen Kriege gelernt, genauer: Ich habe analysiert gefunden, was ich vor Ort erlebt hatte. Ich hatte vorher Tadschikistan bereist, und so gut wie alle Erklärungen, die Elwert zu den flieÃenden Frontlinien und den Mechanismen der Kriegsführung gab, fügten sich in mein verwirrendes Bild. Umgekehrt schienen ihn meine Reportagen zu stimulieren und seine Theorien zu füttern. Er mochte offenbar die Ruhe, mit der ich beobachtete, gerade das Unscheinbare, dem ich Gewicht gab, er mochte auch das Kämpferische an mir, das ich selbst gar nicht sehe. Er sprach mit mir wie mit einem Verbündeten, der an einer anderen Front das Gleiche verteidigte, die Kompliziertheit, die Ambivalenzen und vor allem die Menschen, die zu Barbaren gestempelt werden, kollektiv zu Gotteskriegern. Wir beharrten auf Ursachen, die nachvollziehbar zu machen und zu ändern wären. AuÃerdem hatte er einen verschmitzten Blick auf die sich so hoch dünkende Welt des Kollegs, den ich mal augenzwinkernd, mal aufstöhnend zurückwarf.
Elwert war es ein Anliegen, daà ich mich am Kolleg mit meinen Themen und Projekten durchsetzte, und gab auch taktischen Rat, ohne zu fragen, was für ihn abfiel. Ja, da war einer, hundert Meter Luftlinie entfernt, der sich naiv begeistern konnte und andere ohne Rückfragen unterstützte, ein Gutmensch, wenn man so will, aber ebenso pragmatisch wie theoretisch versiert. So viel lieber sind mir die Gutmenschen, erst recht, wenn sie mit ihrem Gutsein nicht hausieren, als die Coolen, Bequemen, Ehrgeizigen, Weltabgewandten und schon gar die Zyniker. Die Einrichtung seines Reihenhauses mit den skandinavischen Möbeln und den gerahmten Postern wies auf die Generation hin, der er angehörte, die frühen Siebziger, die nicht mehr alles umstürzen, sondern es konkret verändern wollten. Ein-, zweimal besuchte ich ihn, um Bücher oder Aufsätze abzuholen, und jedesmal nahmen wir uns vor, einen Abend miteinander zu verbringen.
An einen der vielen Empfänge im Kolleg erinnere ich mich: Das Sofa, auf dem Elwert zusammen mit seiner Frau und wechselnden Bekannten saÃ, war wie die Bodenstation, auf der ich mich zwischen den Fachgesprächen ausruhen durfte. Zwischendurch ein biÃchen albern zu sein oder zu lästern, das half. Als sich der Stehempfang allmählich auflöste, blieb ich auf Elwerts Sofa sitzen und war froh, nicht nebenan bei Hans Magnus
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