Dein Name
ich an, daà mich der Zoll schon nicht durchsuchen wird. Guter Junge, wird Herr Ketabi gedacht haben, nur daà du meine Tochter mit nach Amerika genommen hast.
Die Intelligenz seiner vier Kinder ist in unserer Verwandtschaft Legende. Seine jüngste Tochter, fünf Tage vor oder nach mir geboren (ich verwechsele das bis heute), stand mir als Kind in Iran am nächsten. Wann immer wir in Teheran waren, wollte ich deshalb bei den Ketabis wohnen. Ihr Mann hat genauso einen Arbeiterschnauzer wie früher ihre Brüder. Die beiden Söhne des vermögenden Händlers sind politisch aktiv gewesen, Trotzkisten, während der Revolution im Untergrund und nach der Revolution im Gefängnis. Den Jüngeren haben sie sechs Jahre eingesperrt, nicht die ganze Zeit in Teheran. Herr Ketabi und meine Tante sind durch das halbe Land gereist, um die wenigen Besuchszeiten auszuschöpfen. Alle Verbindungen reichten nicht aus.
Bis vor wenigen Jahren hörte er noch jeden Tag BBC und kommentierte den Reformprozeà in kurzen, informierten Einwürfen am Abendbrottisch. Die Erfolgsaussichten des damaligen Präsidenten beurteilte er skeptisch, obwohl er ihm überraschend gewogen war. Bei allem Pragmatismus hatte er für die regierenden Mullahs sonst nur Verachtung übrig. Dabei stammte er selbst aus wohlhabenden, jedoch ganz und gar traditionellen Verhältnissen, dem Basarmilieu, das durch Verschwägerung und den schiitischen Fünften, dem choms , eng mit der Geistlichkeit verbunden ist. Herr Ketabi kannte die Gebete alle und verrichtete sie täglich nach Vorschrift. Daà ihn das nicht vom Alkohol abhielt, wurde in jenen Kreisen offenbar kaum als Widerspruch empfunden.
Am spannendsten wurde es in den letzten Jahren für mich, wenn er aus seiner Jugend erzählte, von den Passionsspielen, den Prozessionen, dem ruhouzi (der iranischen Commedia dellâarte), den Ringern. Sein Vater war reich geworden, indem er die Altkleider der Amerikaner aufkaufte. Ich hätte den Mut haben sollen, Herrn Ketabi noch viel ausführlicher zu befragen, ich hätte ihn interviewen sollen zur religiösen Kultur von früher. Sein Gedächtnis war noch phänomenal, als nacheinander die anderen Funktionen ausfielen. Zudem freute er sich über meine Neugier, nur daà ihn das lange Reden bereits anstrengte, als ich auf die Fülle von Wissen und Erlebnissen aufmerksam wurde.
Meine Eltern hatten irgendwelche Geld- oder Geschäftsgeschichten mit ihm, wie mit so vielen, aber im Vergleich zu anderen Geschichten gingen sie noch glimpflich aus. Wenn meine Mutter mir Andeutungen machen wollte, wechselte ich konsequent das Thema. Das tue ich grundsätzlich, wenn meine Eltern mich in ihre Sicht eines Familienstreits einweihen wollen, lag in diesem Fall aber zusätzlich daran, daà ich Herrn Ketabi noch ein Gespräch schuldete, seit er und meine Tante uns in Siegen besucht hatten. Vielleicht spürte ich eine gewisse Anspannung unter den Ãlteren, genau kann ich mich nicht mehr entsinnen. Mit meinen dreizehn Jahren hatte ich andere Interessen als Verwandtenbesuch. Selbst wenn sie sich am Abend im Wohnzimmer geprügelt hätten â ich hätte am Frühstückstisch nichts bemerkt. Insofern folgere ich die Anspannung eher aus dem, was danach war, als daà ich sie tatsächlich wahrgenommen hätte. Gegen Ende ihres Besuchs winkte mich nämlich Herr Ketabi in die Tür des Gästezimmers und sagte, daà er gern mit mir reden würde, unter vier Augen. Wir sollten eine Gelegenheit finden, solange sie daseien.
Es war ihm ernst, und ich nahm es ernst. So hatte Herr Ketabi noch nie mit mir gesprochen. Ich nahm es auch als Zeichen, daà er mich nicht mehr für ein Kind hielt, und wollte seinem Eindruck auf jeden Fall entsprechen. Ich vermutete damals schon, daà es ihm darum ging, sich vor mir oder vielleicht vor allen meinen Brüdern zu rechtfertigen, falls meine Eltern etwas Negatives über ihn gesagt haben sollten. Erfahren habe ich es nie. Als ich meine Eltern nach Herrn Ketabi befragte, erwähnte nicht einmal meine Mutter einen Streit.
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Djavad Ketabi ist besser gelungen als die drei Kapitel davor, weil mehr zu sagen war. Allein schon die lange Zeit zahlt sich aus, die der Romanschreiber jemanden kennt. Dafür hat er die Gelegenheit verpaÃt, am letzten Tag etwas mit der Tochter zu unternehmen, das den beiden unvergeÃlich bliebe. Zum Ausgleich durfte sie eine
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