Dein Name
untereinander, wie der Befehl zu verstehen sei, die Juden zu vernichten. »Wir sollen die Juden töten ?« fragte einer, dessen Namen ich mir leider nicht notiert habe, obwohl ich bereits wuÃte, daà der Vortrag mir unvergeÃlich bleiben würde, bleiben müÃte, und ihn deshalb auf der Rückseite meines eigenen Manuskripts mitschrieb. »Selbstverständlich«, antwortete Reinhard Heydrich, Chef des Reichssicherheitshauptamts.
»Selbstverständlich« gehörte ohnehin zu den häufigsten Wörtern und wurde wie ein Kode eingesetzt, wann immer ausdrückliche Begründungen erläÃlich schienen. »Selbstverständlich« müÃten deutsche Soldaten gegenüber jüdischen Zwangsarbeitern unbarmherzig sein, heiÃt es in der Anweisung eines Oberstleutnants. Hilberg zählte 2006 in Berlin die wichtigsten Dokumente auf, die den Holocaust belegen, Funksprüche etwa und Gesprächsprotokolle. Als er sie in der Einsamkeit gelesen habe, sei ihm erst nach und nach aufgegangen, warum der Holocaust niemals offiziell begründet, erklärt, angeordnet worden war. Der Holocaust brauchte keine Begründung. Einmal begonnen, verstand er sich, muÃte er sich von selbst verstehen, weil sonst jemand gefragt hätte. »Auch die Judenweiber?« fragte ein Offizier im Osten. »Keine Restfamilien«, meinte sein Kollege, ohne eine ausdrückliche Anweisung vorliegen zu haben. Hilberg wunderte sich zu Beginn seiner Nachforschung selbst, warum die Deutschen nicht einfach alle Juden, die sie antrafen, erschossen. »Das geht nicht«, sagte er 2006 in Berlin und senkte die Stimme tief, danach Pause. Das geht in RuÃland, Pause, nicht im zivilisierten Europa, Pause, nicht in aller Ãffentlichkeit. Das Problem, fuhr Hilberg fort, sei auch die »Berührung« gewesen, wie es in den Gesprächsprotokollen genannt würde. Daher erfolgten die meisten ErschieÃungen durch Kollaborateure. Hilberg zitierte einen Weichensteller, der vierzig Waggons im Bahnhof oder im Lager einfahren sieht, zitierte die Schreie, die der Weichensteller bezeugt, und legte zwischen jedem eine Pause ein, zitierte die Befehle, die der Weichensteller bezeugt, und legte zwischen jedem eine Pause ein, erwähnte die Schüsse, die der Weichensteller bezeugt, und legte eine Pause ein. »Und dann nichts mehr«, zitierte Hilberg den Weichensteller und legte eine Pause ein. »Das war schon merkwürdig«, endet das Zeugnis des Weichenstellers, aus dem Hilberg zitierte, »die Stille.«
Nicht nur Triumph, auch die Scham stiftet zur Identifikation an, wie von den Deutschen zu lernen ist. Als ich nach Hilbergs Eröffnungsrede auf dem Podium der Antisemitismus-Konferenz saÃ, hatte ich plötzlich den Eindruck, nicht bloà mich selbst zu vertreten. Beim Frühstück hatte ich noch einem Freund aus Haifa widersprochen, der von sich sagte, im Ausland stets als Vertreter seines Landes zu sprechen und Israel nur unter Landsleuten zu kritisieren. Auf dem Podium schlug mir einige Stunden später die Bereitschaft des Saals entgegen, mich zu adoptieren, wenn ich mich nur gegen dieses barbarische Iran ausspräche. Ich zuckte kurz, zweifelte aber nicht, dennoch abspringen zu müssen. Das iranische Staatsfernsehen hatte sich akkreditiert; ich sah das bärtige Filmteam von der Bühne aus und kalkulierte ein, mir für die nächsten Jahre den Weg nach Isfahan zu versperren. Es blieb mir keine Wahl, es wäre mir auch ohne Raul Hilberg keine Wahl geblieben, aber vielleicht hätte ich länger gezögert. Wenn Iran das ist, was es ist, muà man sich abwenden, um treu zu bleiben, die Logik Haffners. Wenn der iranische Präsident den Holocaust leugnet, muà man dem Staat ins Gesicht spucken, den er repräsentiert.
Als eine junge Frau aus dem Publikum fragte, ob Teheran 06 nicht Berlin 38 sei, begann allerdings auch ich, Pausen einzulegen wie Hilberg. Punkt für Punkt führte ich die Unterschiede aus. In den Pausen zwischen den Satzteilen warf die junge Frau, die immer noch stand, mir zornig vor, appeasement zu betreiben. Heute werde Berlin 38 zur Vorbereitung eines Kriegs miÃbraucht, der moralisch, völkerrechtlich und strategisch falsch sei, schloà ich erregt und erntete Applaus ebenso wie höhnische Zurufe. Es mag die Logik Haffners sein, aber nicht der gleiche Fall. Hilberg als Ehrengast war längst ins Hotel zurückgekehrt. Gern hätte ich
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