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mit Hebearm wie bei der Feuerwehr, allein der Haken fast so groà wie ein Kopf, daran ein blauer Strick geknotet, Plastik, wie in der Nahaufnahme zu erkennen ist, aus dem Baumarkt, die Heerschar iranischer Photographen, die so weltlich-westlich aussehen wie Photographen vor dem Bundeskanzleramt, Baseballkappen, modische Kinnbärte, genauso im Publikum, was für ein barbarisches Land. Vor der Hinrichtung wird der Koran vorgetragen, mit Verstärker, vielleicht auch nur von Kassette, schön die Rezitation eigentlich, iranischer Stil, elegisch, zum Kotzen. Als der Barhocker unter Madjids FüÃen weggestoÃen wird, sind Allaho akbar -Rufe zu hören, wenigstens nicht viele.
GewiÃ, die meisten Zuschauer werden Madjid und Hossein Kawussifar für gewöhnliche Mörder gehalten haben. Der wütende Richter zählte vor der Hinrichtung die Morde, Entführungen, Einbrüche und Banküberfälle auf, die ihnen zur Last gelegt wurden. Die Internet-Zeitung Rooz zählte später die absurden Widersprüche auf, in die sich die iranische Justiz in dem Bemühen verwickelte, eine Konspiration des amerikanischen Geheimdienstes zu behaupten und die beiden gleichwohl als gewöhnliche Kriminelle abzutun. Aber selbst wenn, selbst wenn Madjid Kawussifar und sein Neffe Hossein nichts anderes gewesen sein sollten als Verbrecher â wo anders als in einer Barbarei hängt man Menschen am hellichten Tag mitten in der Stadt an einem Kranwagen auf, mit der Geschäftigkeit einer StraÃeneinweihung oder einer Feuerwehrübung? Wir glaubten, wenigstens diese Auswüchse seien beendet, wir glaubten, die Islamische Republik würde sich ab jetzt wenigstens genieren, sagen wir seit den Intellektuellenmorden von 1998, als es darüber zum Aufstand kam im ganzen Land. Die öffentlichen Hinrichtungen hat der jetzige Staatspräsident wieder eingeführt, ebenso wie die Steinigungen, die Verhaftung von Intellektuellen und kritischen Geistlichen. Auf der Suche nach Bildern Madjids stieà ich auf einen Film über die Hinrichtung eines sechzehnjährigen Mädchens, das wegen Unzucht verurteilt worden war. Die Dokumentation war abgeschmackt, soweit ich es nach den ersten zehn Minuten beurteilen konnte, mit nachgestellten Szenen und allen Klischees und Betroffenheiten, die man von einem deutschen Fernsehteam nur erwartet, aber der Fall selbst ist so unfaÃbar entsetzlich, daà man dankbar ist für jeden, der auf ihn aufmerksam gemacht hat.
Aber Madjid Kawussifar â wie hat er es nur geschafft, den Henkern, den Barbaren sein Lachen ins Gesicht zu spucken? Nein, ich kann nicht beschwören, daà er ein Held war. Ich betone: Ich weià so gut wie nichts über ihn. Vielleicht hat er den Richter umgebracht, weil er im Westen einen plausiblen Grund haben wollte, Asyl zu beantragen. Ich kann es mir allerdings nach allem, was ich dann doch über seine Geschichte erfuhr, nicht vorstellen. Und was immer sein Motiv war â spätestens unterm Galgen wurde er zum Helden, nach dem in Teheran einmal StraÃen benannt werden wie nach den Geschwistern Scholl in Deutschland oder Filme gedreht wie gerade jetzt in Berlin über Graf Stauffenberg mit Tom Cruise. »Ich bereue nichts«, beteuerte er, da ihm ein dicker Bärtiger und ein vermummter Polizist (»Police« stand in lateinischen Lettern auf dem schwarzen Overall) den Strick um den Hals legten: »Ich würde diesen Richter noch einmal umbringen.«
Das klingt nach einer Passion und ist es auch. Madjid Kawussifar hat sich mit seinem letzten Gang in die Reihe der Märtyrer gestellt, die sich durch die schiitisch-iranische Geschichte zieht. Der Kult um die Helden, die den Kampf gegen eine Ãbermacht wagen, den sie sicher verlieren, hat in Iran so tiefe Wurzeln, daà er die Religion nicht mehr braucht. Offenbar ist die Freiheit ein ebensolches Gut, für das Menschen über sich hinauswachsen wie für ihren Glauben. Offenbar ist die Freiheit auch ein Glaube, der sich in seiner GröÃe und Majestät entfalten kann, wo der Mensch sich am erbärmlichsten fühlen müÃte, nicht nur von den Gegnern überwältigt, sondern verraten von denen, auf die er vertraute. Zur Geschichte Madjids gehört, daà er eigentlich schon in Sicherheit gewesen war. Nach dem Anschlag hatte er sich nach Dubai durchgeschlagen und bei der amerikanischen Botschaft Zuflucht gesucht. Die Amerikaner haben ihn den Behörden
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