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Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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von Ezzatollah Chan Alaí. »Sind solche Gefühlsausbrüche heute noch üblich?« wird er sechzig Jahre später fragen und sich selbst die Antwort geben: »Mit Sicherheit nicht.«
    â€“ I prefer to sit at the gangway, mochte ein erstaunlich unfreundlicher Inder den Gangplatz nicht freigeben. – Me too, beharrte der Berichterstatter gut deutsch auf seinem Recht, that’s why I have reserved it. Auf dem Mittelplatz mit zwei belegten Armlehnen, so daß er die Ellbogen anwinkeln müßte, könnte er am Mittwoch, dem 10. Oktober 2007, um 7:26 AM auf dem indischen Handy unmöglich die Stichwörter notieren, die er in den fünfzig Minuten, die von der Flugzeit verbleiben, überhaupt vom gestrigen Tag zu bewahren vermag, bevor ihn heute andere Eindrücke überfordern. Gestern kurz nach dem Einschlafen aufgestanden, um im Schwimmbad die Wirbel zurechtzurücken, Obst zum Frühstück wegen der Abwehrkräfte, ab neun Uhr rasch und routiniert wie ein Bergsteiger die letzten Handgriffe an der Ausrüstung, das Personal als Kolonialvolk zuvorkommend und geschmeidig, wie es Iranern nie gelingt: Handy besorgt, Flüge gebucht, Interviews vereinbart, Genehmigungen beantragt, anschließend die üblichen Besuche eines ersten Vormittags, die sich von zu Hause arrangieren lassen. Der Vertreter einer deutschen Stiftung bestreitet nicht, daß das Elend weiterhin jeder Beschreibung spottet, doch sickere der wachsende Reichtum nach unten durch, so daß langfristig auch die Ärmsten vom Boom profitieren würden, höhere Steuereinnahmen, Ausbau der Infrastruktur und Millionen neuer Arbeitsplätze in den Städten, schlecht bezahlt, zugegeben, aber doch besser, als auf dem Land zu hungern. Der Korrespondent einer Schweizer Zeitung weist beim anschließenden Mittagessen auf die Selbstmordrate der Bauern hin, die in denjenigen Bundesstaaten am höchsten sei, die das höchste Wachstum feiern, insgesamt zwölftausend Selbstmorde von Bauern jedes Jahr, nicht berücksichtigt die Dunkelziffer. Sein feines indisches Gewand, das er in dem französischen Restaurant als einziger Gast trägt, sieht merkwürdigerweise nicht merkwürdig aus, Althippie vielleicht, der sich Indien über Jahrzehnte so sehr anverwandelt hat, daß er gern kontinental ißt, seine Artikel stets trocken, dabei über die wichtigen Themen statt nur über den Boom wie seit 9/11 üblich, hat ein bestürzendes Buch geschrieben, ist besorgt, daß der Besucher zu negativ berichten könnte, liebt nun einmal das Land, weshalb sein Buch so bestürzte. Der junge Journalist, dessen labyrinthischen Namen sich der Berichterstatter bereits merken kann, sucht die Geschichten in den Lücken, die die Zeitungen hinterlassen, derselbe Mechanismus in Kaschmir wie im amerikanischen Krieg gegen den Terror, Aushebelung des Rechts, rechtsfreie Zonen, Sondervollmachten, Töten auf Verdacht, outsourcen der Folter, vor allem: Beschwörung von Gefahr und Werten wie seit fünftausend Jahren in allen Kriegen gegen die Barbaren, die immer noch keinen plausiblen Grund haben, uns zu hassen. Jetzt fordert der Sitznachbar den Berichterstatter auf, die Positionen ihrer Ellbogen zu tauschen, die sich die Lehne teilen. – Is there any reason, why should I do that? Die Chefredakteurin mit dem muslimischen Namen forderte ihn beim zweiten Whisky auf, sich im Club umzuschauen oder herumzufragen, kein einziges Mitglied aus einer niederen oder auch nur mittleren Kaste, obwohl sich hier die Linken treffen, soviel zur Gerechtigkeit sechzig Jahre nach der Befreiung. Nicht mehr als sechs Sessel um einen Tisch, mahnte die Hausordnung, die in der Speisekarte lag, keine Mobiltelefone, Laptops unerwünscht, bitte sprechen Sie leise. Ihre Schwester trifft ein, die sich in die Islamdebatte festgebissen hat, selbst natürlich vollständig säkular, aber der wachsende Druck, wie auf der ganzen Welt der Identitätsritt vor allem in den Mittelschichten, Abwehr und Ausdruck der Globalisierung. In ihrem winzigen Suzuki Tata, aber mit Fahrer, nimmt ihn die Chefredakteurin zur Residenz des britischen Botschafters mit, der seit dem Irakkrieg jedes Jahr ein Ramadanfest gibt, die Amerikaner sogar zwei, Hauptthema der Atomvertrag mit den Vereinigten Staaten, mögliche Neuwahlen, die jungen britischen Diplomaten, vor allem Diplomatinnen, jünger als der Berichterstatter, von begeisterter Höflichkeit, er will nach

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