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Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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angemietet hat, damit sich die weiten Anreisen lohnen. Der Jüngste wird zwei, drei seiner Freunde bitten müssen, die Brüder haben’s alle am Rücken, allerdings sind die Kumpel vom Tresen auch nicht mehr taufrisch. Der Schwiegervater, der sich von der Mutter so gern zum Tanzen auffordern läßt, bleibt nach zwei Operationen an der Prostata nun doch übers Wochenende im Krankenhaus. Den glücklichen Abschluß eines Lebensabschnittes zu feiern, bedarf es mehr Verdrängung, als der Jüngste aufbringt. Er ist zu spät geboren, um mit vierzig Jahren ein beschauliches Jahrzehnt zu erwarten. Die Tanten, die Onkel, sie stehen jetzt alle der Reihe nach vor der Sieche, die einem den Tod schmackhaft machen soll, demnächst dann die Lehrer und älteren unter den Freunden. Die Deutschlehrerin meinte gestern mürrisch, daß sie sein Fest, sosehr sie sich über die Einladung freue, grauenvoll finde: Wenn er vierzig werde – wie alt und immer noch nicht tot sei denn dann sie? – Nein, es geht mir beschissen, hatte sie mit der Schroffheit der Siegenerin dem Schüler geantwortet, der sie nach zwanzig Jahren zum ersten Mal anrief. Weil er sich vor Rückenschmerzen nicht einmal mehr die Socken allein ausziehen konnte, Durchfall hat und sich überhaupt elend fühlt, ohne eigentliche Erkältungssymptome aufzuweisen – ist nichts, sagte der Orthopäde –, hat er den Islam abgesagt, den er heute fünf Zugstunden entfernt integrieren sollte. Das Honorar, das ihm verlorengeht, schenkt er sich zum Geburtstag. Die Direktrice beruhigte er, daß es keine Einlage mit Publikumsbeteiligung geben wird, es könne allerdings laut werden. Er täte zum letzten Mal so, als sei er jung.
    Das Gehalt, das ein Berufsanfänger aus Teheran Anfang der zwanziger Jahre des letzten Jahrhunderts als Zöllner am Persischen Golf bezog, betrug höchstens fünfundzwanzig- bis dreißigtausend Tuman. Nur die Teppichgutachter, die eine Spezialausbildung absolviert hatten, brachten es auf vierzigtausend. Der Abteilungsleiter Herr Hayy, ein Jude aus Isfahan, der seit Jahrzehnten im Dienst war, wollte es nicht wahrhaben, daß das Bürschchen, das er in die Arbeit der Behörde einzuweisen hatte, mit sechzigtausend Tuman genausoviel verdiente wie er selbst. Merkwürdig ist nicht, daß ihre Zusammenarbeit nicht funktionierte. Merkwürdig ist, daß Großvater sich noch fünfzig, sechzig Jahre später darüber wundert. Seine Arbeit bestand im wesentlichen darin, Briefe zu verfassen und Dokumente zu übersetzen. Da er die Tage in der Amtsstube verbrachte, war er nicht von den regelmäßigen Auseinandersetzungen und sogar Rangeleien zwischen den Reisenden und den Zöllnern betroffen. Nur einmal wurde er hineingezogen, als er einen Ajatollah, der von Mekka zurück nach Isfahan reiste, mitsamt der Familie bei sich beherbergte. Die Makler, die den Reisenden bei den offenbar sehr komplizierten Formalitäten halfen, zettelten einen Aufstand an, der sich zum Generalstreik ausweitete. Nicht einmal Großvater erinnert sich, worum es im einzelnen ging, nur daß sie die blutenden Nasen und blauen Augen der Zöllner in der Amtsstube versorgten. Was dann passiert sein soll, verstehe ich nicht genau, klingt aber ebensowenig geschichtsträchtig. Großvater brachte wohl Augenzeugen zum Ajatollah, der daraufhin die Zöllner von jeglicher Schuld freisprach, die Proteste verurteilte und namentlich die Makler kritisierte. Herrn Hayy mißfiel das eigenmächtige Eingreifen, aber weil sich die Lage nach dem Schiedsspruch beruhigte, wurde Großvater am Ende vom belgischen Direktor vor der versammelten Belegschaft gelobt. Die Aufrührer schickten dem Ajatollah noch Emissäre nach, um ihn umzustimmen, worauf Großvater sofort einen Brief nach Isfahan schrieb, damit Urgroßvater seinerseits auf den Ajatollah einwirke, doch erledigte sich die Angelegenheit von selbst, weil der Ajatollah auf dem Weg verstarb. Die Belgier, die bei der Zollbehörde arbeiteten, scheinen nicht durchweg die Leuchten des Abendlands gewesen zu sein. Einer zum Beispiel, ein Monsieur – welche Vokale setze ich zwischen die Konsonanten K-L-T ? – ein Monsieur Colette oder so ähnlich, ein grobschlächtiger, dabei meistens gutgelaunter und insgesamt gutmütig wirkender Hüne mit Kaiser-Wilhelm-Bart, konnte gerade mal lesen und sprach mehr schlecht als recht Französisch.

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