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Theater an der Ruhr gerettet, sie konnten, so schien es mir, nur dort spielen. Hingegen Veronika war die Opernsängerin in der Punkband. Sie konnte auch anders. Im Umkehrschluà war Veronika sich genauer als alle anderen bewuÃt, warum sie ebendiesem Theater angehörte. Unter Freaks war sie die Fremde.
Dabei täusche ich mich. Es ist nur mein damaliger Eindruck, der Eindruck des Hospitanten, der stolz auf jeden freundlichen Blick war, den er von der groÃen Schauspielerin auffing, und trotz ihrer Zugewandtheit kaum ein Wort hervorbrachte, wenn er ihr in einer Theaterkantine gegenübersaÃ. Allein schon, daà sie unverheiratet mit einem Mann lebte, der wohl zwanzig Jahre jünger als sie war, hätte mir ein Hinweis sein können, daà ich mir ihre Bürgerlichkeit nur einbildete. Sie war gar nicht alt, würde ich heute sagen, ein paar Jahre älter als ich jetzt, dabei anziehend, doch für einen gerade Zwanzigjährigen alles andere als eine junge Frau. Daà sie manchen Rollen nicht mehr entsprach, versteckte sie nicht, sondern stellte sie dar. Sie steigerte sich in ein Alter, das sie eben erst begonnen hatte.
In Dantons Tod , das ich vielleicht fünfzehn-, achtzehnmal sah, in Herne, Solingen oder eben Siegen, spielte sie die Nutte Marion als eine, die auf die miÃlichste und ehrlichste Weise abgeschlossen hat. Ich höre noch das Knarren und Knarzen in ihrer Stimme, aus der sie ein Reibeisen gemacht hatte, sehe die heruntergezogenen Mundwinkel, den Grimm. Einmal habe sie weinen müssen, nur einmal als junges Mädchen, als sich der Mann ersäufte, der ihr die Liebe aufgetan: »Das war der einzige Bruch in meinem Wesen.« Sie saà erhöht, reglos, ein oder zwei Brüste entblöÃt, ein weiÃes Kleid und war nicht Marion, war Veronika, die den Bürgern die Verachtung entgegenschleuderte, nein, die Gleichgültigkeit, so schien es mir. Zum Fürchten war es, weil sie recht hatte. »Die anderen Leute haben Sonn- und Werktage, sie arbeiten 6 Tage und beten am 7.ten, sie sind jedes Jahr auf ihrem Geburtstag einmal gerührt und denken jedes Jahr einmal nach. Ich begreife nichts davon. Ich kenne keinen Absatz, keine Veränderung. Ich bin immer nur eins.« So sprechen Heilige, Gesetzlose, Verbrecher, Erleuchtete â Menschen, die der Welt abhanden gekommen sind, wie es in dem Lied so anders klingt, Schauspieler 1988 am Theater an der Ruhr . Bei Veronika klang es bitter, daà es mich noch heute schaudert. »Meine Mutter ist vor Gram gestorben, die Leute weisen mit Fingern auf mich. Das ist dumm. Es läuft auf eins hinaus, an was man seine Freude hat, an Leibern, Christusbildern, Blumen oder Kinderspielsachen, es ist das nämliche Gefühl, wer am meisten genieÃt, betet am meisten.«
Sie hatte Mut und Professionalität, was für Schauspieler das gleiche sein muÃ. Ich kann mich an ihre Brüste erinnern, die vom Parkett aus älter wirkten, als ihre Gestalt mich annehmen lieÃ, herabhingen, wie es eine Frau nicht gern zeigt, erinnere den Unterschied von Wahrheit und Schönheit. Veronika wollte wahr sein. Es gelang ihr nicht in allen Rollen, auch sie hatte ihre Routine, mit ihrem Handwerk noch mehr Routine als andere, dazu ein Gesicht, das viel zu anmutig, zu eben war, um häÃlich sein zu können, aber wenn es ihr gelang â später als Hexe in Macbeth , eine ihrer letzten Rollen in Mülheim â, dann überwältigte sie einen, wie Offenbarungen einen überwältigen.
Das Theater an der Ruhr verlieà sie im Streit. Die Umstände durchschaue ich nicht. Roberto Ciulli bestrafte Abtrünnige fast so hart wie das islamische Recht â wenn schon nicht durch Tötung, dann durch Totschweigen. Und Veronika bin ich seitdem nicht mehr begegnet. Der Zeitpunkt, an dem sie mit dem Theater an der Ruhr brach oder das Theater an der Ruhr mit ihr, spricht allerdings für sich. Bald nach dem Erfolgsjahr beschloà Ciulli, neu anzufangen, die Arbeitsweisen zu ändern, eine andere, eingeschworene Gruppe zu gründen, die in ihrer Zusammenstellung noch weniger einem herkömmlichen Ensemble entsprach, das Regie- und Bildertheater aufzugeben, mit dem er berühmt geworden war, sich auf die Schauspieler zu konzentrieren, auf die Menschen, überhaupt ein neues Theater zu erfinden, wieder einmal. Deshalb interessierten ihn auch die konventionellen Darsteller, die es am Theater an der Ruhr immer gab, noch
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