Dein Name
der Freunde, den Entwürfen, Bruchstücken, Fragmenten, einzelnen Sätzen und immer neuen Varianten, die der Herausgeber in die Dichtungen einwebt, statt sie wie in der groÃen, der Frankfurter Ausgabe gesondert beizugeben, wird nicht Hölderlins Leben , wie es Biographien gern hätten, sondern wird sein Werk als Roman lesbar, obschon alles andere als einem traditionellen. Die Geduld, die einem Ulysses abverlangt, ist schon nach den ersten Seiten aufgebraucht, wenn jedermann beim Namen gerufen wird. Um so bitterer muà es für den Herausgeber sein, daà er â »unter den Konditionen des Anfangs«, wie er zugibt â 1975 den Fehler beging, sich der »verkommene[n] editorische[n] Sortierung nach Textarten« zu unterwerfen. Was mir das Schnäppchen so kostbar machte, ist in der Frankfurter Ausgabe gar nicht zu finden, nämlich die konsequente Chronologie, damit die fortlaufende Zeit. Erst mit dem achtzehnten Band, leider so spät, hebt der Herausgeber die willkürliche, weil menschliche Sortierung nach Gattungen auf und setzt er die Ordnung der Zeit wenigstens partiell ins Recht. Im neunzehnten Band kündigt er für den zwanzigsten und letzten Band an, die bereits editierten Werke nachträglich mit der Korrespondenz chronologisch zusammenzuführen, so daà sein Begriff des Historisch-Kritischen wenigstens formal bestimmt und im Ansatz vor Augen geführt wird. Eigentlich müÃte er ganz neu anfangen. Niemand anders wird es je tun.
Da er die »drolligen Anekdoten« möge, erzählt GroÃvater auf den nächsten zwei Seiten von dem Angestellten, der regelmäÃig sein Geld verpraÃte, worauf GroÃvater auf Bitten der Ehefrau die Hälfte des Gehalts einbehielt, um damit Miete, Strom und andere offene Rechnungen der Familie zu bezahlen. Vielversprechender ist das übernächste Kapitel mit der Pilgerfahrt nach Mekka. Der Enkel ist in die Wäschekammer umgezogen, so klein, dunkel und klamm wie eine Katakombe, und wieder ins Atelier zurückgekehrt, weil die Waschmaschine noch lauter ist als Kinder und Telefone, und zum zweiten Mal in die Wäschekammer gezogen mit dem Plan, die Waschmaschine nachts vor dem Schlafengehen anzustellen und die Wäsche morgens aufzuhängen, bevor er seine Allmacht aufklappt. Er schiebt es schon ein paar Tage vor sich her, mit der Selberlebensbeschreibung des GroÃvaters fortzufahren. Es ist nicht so, daà ihm die Lektüre ganz leicht fiele; speziell im nächsten Kapitel, das über drei, wie gesagt kleingedruckte DIN-A4 -Seiten die finanziellen Tricks und Betrügereien von Herrn Montazemis Nachfolger Herrn Mansuri schildert, müÃte der Enkel viele Vokabeln nachschlagen, allein, er fragt sich, wozu das alles, wozu liest er das?, ein nie veröffentlichtes Manuskript, das schon die allernächsten Adressaten nicht interessierte, wobei es mit der Lektüre ja nicht getan ist, wozu all diese Seiten, nicht zwei oder drei, sondern 3.108.682 Millionen Zeichen seines eigenen Manuskripts (inklusive Leerzeichen, wie die Textverarbeitung beschwichtigt). Nicht einmal die eigene Frau, die ständig fragt, woran er in der Wäschekammer arbeitet, sollte den Roman lesen, den ich schreibe. Vielleicht würde Ruth Schweikert argumentieren, daà man für ein Buch bereit sein muÃ, seine Ehe zu ruinieren, allein â welches Buch? Der Verleger war dieser Tage sogar in Rom, wie der Enkel einem Veranstaltungshinweis entnahm, und hat sich dennoch nicht gemeldet. An einer Stelle wird der Korruptionsfall doch recht interessant, sehe ich gerade: Da seine schriftlichen Beschwerden nicht beantwortet werden, nimmt der stellvertretende Filialleiter der Nationalbank in Isfahan Urlaub und reist nach Teheran. In seinem eigenen Interesse habe man die Briefe nicht bearbeitet und die Angelegenheit auf sich beruhen lassen, erklärt ihm dort der Generaldirektor und bietet an, den stellvertretenden Filialleiter in eine andere Stadt zu versetzen. Ansonsten müsse er sich mit den Zuständen eben abfinden. Der stellvertretende Filialleiter erwidert, daà er weder Isfahan verlassen noch sich mit den Zuständen abfinden, sondern beim Präsidenten der Nationalbank persönlich vorsprechen werde. Die Angelegenheit sei heiÃ, warnt ihn der Generaldirektor, der stellvertretende Filialleiter werde sich die Finger verbrennen. Als der stellvertretende Filialleiter tags darauf das Vorzimmer des Präsidenten
Weitere Kostenlose Bücher