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Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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aus bürgerlichen Kreisen nicht schockiert haben, Juden zu treffen oder in einem Hotel zu wohnen, das Juden gehörte – so hätte ich wenigstens gedacht. Daß die Pilgergruppe es dennoch auf sich nahm, ohne Bleibe nachts mit Gepäck durchs fremde Beirut zu irren, wo sie ein paar Stunden zuvor gelandet waren, hängt wahrscheinlich mit der schiitischen Vorstellung zusammen, die sich im siebzehnten Jahrhundert herausbildete, daß Ungläubige unrein seien. In einem Reisebericht aus dem neunzehnten Jahrhundert, den ich in der Bibliothek gefunden habe ( J.J. Benjamin, II , Eight Years in Asia and Africa ), lese ich, daß Juden in vielen muslimischen Geschäften oder auf dem Basar die Ware nicht berühren, sondern nur mit dem Finger auf sie zeigen durften. Der Verkäufer hat dann die Äpfel oder Birnen eingepackt und den Juden beziehungsweise Christen oder Zoroastrier die Tüte hingestellt, damit sie sie nehmen konnten. Nach der Islamischen Revolution wurden nichtmuslimische Ladenbesitzer verpflichtet, einen Hinweis an ihr Lebensmittelgeschäft oder Restaurant zu kleben, daß es Angehörigen einer religiösen Minderheit gehört. Ich habe mich früher über die Aufkleber gewundert und sie allen Ernstes sogar für Werbung gehalten, weil besonders die Armenier als zuverlässig und aufrichtig gelten. Jetzt erfahre ich, daß der Hinweis dem rechtgläubigen Schiit dazu dient, nicht fälschlich Lebensmittel einzukaufen, die von einem Ungläubigen berührt wurden. Ich erfahre außerdem von einem jüdischen Kind, daß noch in den vierziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts die Schule nicht besuchen durfte, wenn es regnete, weil die muslimischen Eltern fürchteten, der Regen würde den Schmutz von ihm abwaschen und dabei die Füße ihrer Kinder besudeln. Einmal regnete es sieben Tage lang, da nahm seine Mutter den Jungen an der Hand, stürmte in die Klasse und schrie, daß auch ihr Kind etwas lernen wolle, es müsse jetzt mal gut sein mit dem Aberglauben. Der Direktor, der gerufen wurde, gab der Mutter recht und ihrem Kind Wasser zu trinken. – Seht her! rief er und trank aus demselben Glas. Seither durfte der Junge auch bei Regen die Schule besuchen. Zwar sind die Konditoreien der Armenier im Stadtteil Dscholfa die beliebtesten von ganz Isfahan und stets gut besucht, allein, die Aufkleber kleben noch immer an den Türen und werden von den iranischen Juden, Zoroastriern und Christen verständlicherweise als Herabsetzung empfunden, um von den Bahais nicht zu sprechen, die ihren Glauben nicht einmal bekennen dürfen. Ich war mir sicher, daß Großvater eine solche Engstirnigkeit abgelehnt hätte und solche Sitten überhaupt in seinen, unseren Kreisen undenkbar gewesen wären. Ich selbst habe es nie bei einem Verwandten oder Bekannten erlebt, daß man einem Andersgläubigen den Handschlag verweigert hätte, und über die Jahre nicht mehr als zwei, drei despektierliche Äußerungen über Juden gehört, über Christen und Zoroastrier nie, über Bahais öfter; auch entpuppte sich bei jeder größeren Geselligkeit oder Hochzeit diese oder jene Familie als christlich oder jüdisch. Ich war es, der in Deutschland Aufgewachsene, dem dreizehnjährig überhaupt auffiel, daß auf dem Geburtstag meiner Cousine nicht alle Kinder muslimisch waren. Die Cousine, die ich ansprach, schien darüber nie nachgedacht zu haben. Um so mehr irritiert es mich, daß der Führer der Pilgergruppe in Beirut die Anweisung gab, sofort die Zimmer zu räumen, obwohl es nachts war und kein anderes Hotel in Aussicht. Offenbar hat niemand gegen diese Entscheidung protestiert, niemand gesagt, es müsse jetzt mal gut sein mit dem Aberglauben. Ob auch in Großvaters Klasse manche Kinder bei Regen zu Hause blieben? Charakteristisch für die Religiosität von Schiiten, so oder so ähnlich hundertfach erlebt, ist allerdings, daß der Führer sich bei dem Pilger, der ihn auf die jüdischen Betreiber des Hotels aufmerksam gemacht hatte, nicht etwa bedankte, sondern sich über ihn aufregte: Es hätte doch gereicht, morgen früh bekanntzugeben, daß das Hotel jüdisch ist, oder besser noch am Ende des Aufenthalts, dann hätten sie sich nicht solche Umstände machen müssen. Und sonst? Und sonst ging es bei dem Enkel noch nie so deutsch zu wie in Rom, ja, wie Deutschland mit gutem Wetter ist die Deutsche

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