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Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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war keine Schule, Großvater muß es gar nicht aussprechen, und ebensowenig ein Waisenheim. Der gleiche, Furcht und Schrecken einflößende Raum, der kahl, groß und hoch, hell und doch wie fensterlos die Einbildungskraft beweihräucherte, daß es dem Enkel schon am ersten Tag den Atem nahm, hat sich in ein Spiel- und Wohnzimmer verwandelt, in dem jede Ecke ausgefüllt ist mit Alltag, der sich wichtig nimmt, aber zu Recht. Ein Baby reicht aus, und das Monument steht nur noch auf dem Grundriß.
    An einem anderen Tag eines nicht genannten Jahres benachrichtigt ein Herrn Chosroupur, Inhaber einer Fabrik in Schahreza, die Nationalbank in Isfahan, daß ein Scheck auf den Betrag von vierzehntausend Tuman, dessen Nummer Herr Chosroupur anführt, vom Tisch des Geschäftsführers gestohlen worden sei und die Auszahlung daher verweigert werden möge. Der stellvertretende Bankdirektor informiert umgehend die Schalterangestellten. Zwei Tage später, die Bank ist bereits seit einer Stunde geschlossen, der stellvertretende Bankdirektor hat gerade sein Mittagessen nachgeholt und sich zu einem Nickerchen in sein Büro zurückgezogen, trifft ein weiteres Eilschreiben aus Schahreza ein, in dem Herr Chosroupur heftig dagegen protestiert, daß der gestohlene Scheck entgegen seiner ausdrücklichen Anweisung ausbezahlt und vom Konto der Fabrik abgebucht worden sei. An Schlaf ist nicht mehr zu denken. Der stellvertretende Bankdirektor eilt aus seinem Büro, um in dem Fach nachzusehen, in dem die ausgezahlten Schecks aufbewahrt werden – und tatsächlich, dort liegt der Scheck mit der richtigen Nummer und dem Betrag von vierzehntausend Tuman, ausbezahlt von Herrn Moumeni, der noch hinterm Schalter sitzt. Immerhin erinnert sich Herr Moumeni sofort, wer den Scheck mit diesem hohen Betrag eingereicht hat. Kreidebleich bittet er den stellvertretenden Bankdirektor, ihm einen der Wachleute zur Verfügung zu stellen, verläßt die Bank und kehrt keine halbe Stunde später mit einem jungen Juden zurück, dem er den Scheck ausbezahlt haben will. Der Junge weist indes die Anschuldigung mit so glaubhafter Empörung zurück, daß der stellvertretende Bankdirektor unsicher wird. Während Herr Moumeni sich alle Mühe gibt, anhand der Nummern der Banknoten, der exakten Uhrzeit der Auszahlung und anderer Details nachzuweisen, daß er die Auszahlung genau vor Augen hat, weint der Junge, schwört bei Gott, den Propheten und seinen Eltern, unschuldig zu sein, und sieht sich nur immer tiefer in seiner Ehre verletzt. Schließlich bittet der stellvertretende Bankdirektor Herrn Moumeni, ihn aus dem Zimmer zu begleiten. Wenn er den geringsten Zweifel habe, so fordert er ihn vor der Tür eindringlich auf, möge er es im Vertrauen sagen. Vielleicht liege tatsächlich eine Verwechslung vor, diese jungen Männer sähen sich oft ähnlich, und so genau schaue man doch nicht jedem Kunden ins Gesicht. Der stellvertretende Bankdirektor wolle dafür sorgen, daß Herr Moumeni für seine Unachtsamkeit nicht belangt werde, für den Schaden stehe die Bank schon ein. Nun ist es an Herrn Moumeni zu weinen. Nein, bestimmt, der Junge war’s, schwört er bei Gott, den Propheten, den Imamen und seinen Kindern. Der stellvertretende Bankdirektor kehrt zurück ins Zimmer – und was tut er? Er, der niemals seine Kinder schlägt, dessen Vater bereits die Prügelstrafe ablehnte, er kehrt bei klarem Bewußtsein ins Zimmer zurück, holt aus und verpaßt dem Jungen mit voller Absicht eine Ohrfeige, eine heftige Ohrfeige, wie er selbst zugeben wird. Und anschließend kündigt er mit fester Stimme an, den Jungen im Keller festbinden und so lange mit einem glühenden Eisen brennen zu lassen, bis dieser den Diebstahl gestehe. Das ist, ich muß das festhalten, nichts Geringeres als die Androhung schwerer Folter, für die jemand in einem zivilisierten Land verurteilt werden könnte. Und geschlagen hat er den Jungen bereits, der nun in irrer Angst abwechselt schreit und winselt. Der stellvertretende Bankdirektor befiehlt den Wachleuten, den Jungen im Keller festzubinden und die Eisenstangen zum Glühen zu bringen. Nicht, daß er daran denkt, den Jungen tatsächlich zu foltern; es sei unnötig, das zu erwähnen, wird der stellvertretende Bankdirektor schreiben, um es zur Sicherheit doch erwähnt zu haben. Es gibt überhaupt keine Eisenstangen in der Bank und zu

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