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scheinen es mit einer Resignation hinzunehmen, die dem Gleichmut nahekommt. Das ist keine Revolution, die alles auf den Kopf stellt, sie hat nichts Totalitäres. Sie gibt nur einigen freie Hand; um sich zu bereichern oder sich vor der Justiz zu schützen, Herrschaft auszuüben oder Ressentiments nachzugeben, von denen weder die Einheimischen betroffen sind noch die Touristen, gleich wo sie herkommen, ob aus Saudi-Arabien oder den Vereinigten Staaten. Das ist nicht wie JudenhaÃ, nicht mal im eigentlichen Sinne Rassismus. Von dieser Verachtung ist man qua Stellung befreit oder kann sich mit Geld freikaufen. Jeder in der Regierung wird ausländische Freunde haben, schon der Geschäfte wegen Araber und sogar Neger. Die Bediensteten merken es, die in den Bürgerwohnungen als Kindermädchen arbeiten, die StraÃenverkäufer, die Küchenhilfen in den Restaurants und natürlich die Flüchtlinge, die per Gesetz zu Kriminellen erklärt werden sollen. Daà es wirklich Einheimische träfe, wie manche träumen, die Schwulen etwa, die der Bürgermeister des norditalienischen Treviso »ethnisch säubern« will, die Juden und für jene Faschisten, die sich noch nicht neoliberal gewendet haben, auch die Amerikaner â davor ist Europa. Realistischer ist der zweite Vorschlag aus Treviso, nämlich Bootsflüchtlinge abzuschieÃen. Auf offener See schaut nicht mal eine einzige Fernsehkamera hin. Als der Berichterstatter vors Parlament zurückkehrt, stehen im Publikum vier Herren, die Politiker sein könnten, Abgeordnete der linken Opposition, nimmt er an. Einer ist im Dienstwagen vorgefahren, einer blauen Limousine von Alfa-Romeo mit abnehmbarem Blaulicht. Der Fahrer im Nadelstreifen schaut der Aufführung ebenfalls zu. Ein Schüler aus Halabdscha war zwölf, als sein Cousin ihm sagte, daà sie bombardiert würden. Das verstand der Schüler nicht, Halabdscha war strategisch keine bedeutende Stadt. Sie versteckten sich im Haus, der Vater hatte Nahrungsmittel besorgt, viele Tomaten. Dann kann der Berichterstatter nicht mehr folgen, weil sein Italienisch noch nicht ausreicht, erst wieder hier: Als sie schon auf der Flucht waren, hörte der Schüler, daà Halabdscha eine Schaltstelle der Peschmerga sei. Zum ersten Mal hörte er das. Das Ensemble stellt die Flucht über die Berge nach. Die Alten und Lahmen werden huckepack getragen, viele humpeln. Der Berichterstatter versteht noch Kermanschah, Iran, ospedale, ein, zwei Monate, Inghilterra. In einer der nächsten Szenen treten zwei aus der Gruppe hervor, um die Fluchthelfer zu spielen. Ihr müÃt Sprachen lernen, rufen sie, Englisch, Italienisch oder Deutsch, wenigstens ein paar Brocken. Wasser heiÃt water . Alle rufen im Chor water . Hilfe heiÃt help . Alle rufen im Chor help . Aus drei Zauberwörtern ergibt sich ein Gesang, der richtig komisch ist: Asilo politico , dollar , no passaporto . Die Flucht verläuft über Wasser, wie die nächste Szene zeigt; auch der Sprung vom Boot will pantomimisch gelernt sein, genauso das Schwimmen. Später verwandeln sich die Fluchthelfer in Grenzbeamte, Schreie, Befehle, die Halstücher werden zu Augenbinden, hinsetzen, wirdâs bald, die Beamten helfen nach. Die Verhöre beginnen, bis wieder Nureddine Ehmê an der Reihe ist, keine Papiere, Alter Achtundzwanzig, Geburtsort Hasaka, syrisch die Nationalität, kurdisch die Ethnie, von 2003 bis 2005 verhaftet, sichtbare Spuren der Folter, nach ihm Aischa aus Palästina, Bahar aus dem Irak, Nirmaleh aus Sri Lanka. Nach dem SchluÃapplaus holt das Ensemble die vier Politiker nach vorn. Ob sie etwas ins Mikrophon sagen möchten? Nein, winken die Politiker ab, und ziehen es vor, die Aufführung abseits der Mikrophone zu rühmen. Als sie sich schon verabschieden wollen, bittet die Spielleiterin sie um einen Gefallen: Ob sie zusammen mit dem Ensemble ins Parlament gehen könnten, symbolisch nur, also bis zum Eingang, um die Petition zu überreichen, auf die sie mit der Aktion hinweisen wollten? Die Politiker sind etwas verwirrt, besprechen sich kurz und willigen dann ein. So marschieren vier Herren in feinen Anzügen zusammen mit zwanzig, fünfundzwanzig weiÃgekleideten Schauspielern, einer Fernsehkamera und mehreren Photographen über den Platz zum Parlament, in dessen Eingang sie den Aufruf deklamieren, Flüchtlinge nicht wie Verbrecher zu behandeln. Die Abgeordneten, die vom
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