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eingemauerte Rechteck zwischen dem neuerrichteten Gutshaus auf dem Hügel, dem Hof des Verwalters, der noch aus Lehm war, und dem Zayanderud, auf fünfzehn Hektar vielleicht. So hatten wir auch fast nie etwas mit den Bewohnern der umliegenden Dörfer zu tun, da sie nicht mehr für GroÃvater arbeiteten. Als die Mutter noch das Lockenköpfchen war, kamen die Frauen von Berendschegan und Kartschegan in ihren bunten Trachten ans Haus und legten groÃe Schüsseln mit Weizen, Hanf, Walnüssen, geräucherten oder gebrannten Mandeln auf die Veranda, auÃerdem gekochte Eier, die sie hübsch bemalt hatten, Joghurt, Käse, Milch sowie getrocknetes und frisches Obst. GroÃvater steckte ihnen etwas Geld zu, nicht den Kaufpreis, denn der Boden gehörte ja ihm, mehr ein Trinkgeld, das die Familien zusätzlich zum Lohn fest einplanten. AnschlieÃend stellten sich die Frauen wieder in die Reihe, bis GroÃvater den Empfang beendete. So waren die Verhältnisse, ob gut oder schlecht einschlieÃlich HandkuÃ, und ich kann schon verstehen, daà meine Mutter ihren Hochmut bewahrte und sich zugleich die Gewohnheiten einer Trümmerfrau zulegte, als sie sich nur zehn, fünfzehn Jahre später im neunten Stock einer Hochhaussiedlung in der fränkischen Kleinstadt Erlangen wiederfand, in der Börse ein paar Mark Haushaltsgeld für Lebensmittel, mit denen sich nichts Persisches kochen lieÃ, ohne die Sprache zu verstehen auf achtzehn Quadratmetern mit drei kleinen Söhnen, die mindestens so ungestüm waren wie das Lockenköpfchen, einem Mann, der bis zur SchlieÃzeit in der Universitätsbibliothek lernte, und unbändigem Heimweh. Wenn die Nummer sechs andeutet, ihn brauchen zu können, muà die Nummer zehn nach Berlin fliegen, nicht als Freund, der er nicht ist, wie beide sich am Telefon wundern, eher wie ein Notarzt oder Seelsorger, der tut, was er kann. Offenbar trifft er unter allen Nummern den Ton, den man beim Sterben noch am ehesten erträgt. Stopp, ruft, brüllte er beinah in den Hörer, als die Nummer sechs das Wort »Sterben« ausspricht: An dem Punkt seid ihr noch nicht, die Diagnose ist offen, der Schmerz muà nicht in Relation zur Schwere und dem Stadium der Krankheit stehen (wie fachkundig er schon redet). Schritt für Schritt, rät auch die Nummer zehn nur, was man so rät. Manchmal denkt er, er habe den bösen Blick, und möchte sich die Asche selbst in die Augen streuen.
Der Versuch, Zehndreiundsiebzig auch den Aufenthalt auf dem Landsitz der Deutschen Akademie in Olevano nachzuahmen, scheiterte an den Kindern deutscher Urlaubskünstler, die die Terrasse besetzt hielten. Eine Stunde nachdem Zehnnullacht sein Gepäck mitsamt dem Bürostuhl ins Gebäude getragen hatte, in dem Brinkmann Silvester ohne Geld einsam und frierend von Maleen tagträumte â »Mit Dir ficken, meinen Schwanz, Penis, steif, zwischen Deinen Schamlippen, in der Fotze auf und ab bewegen« und als anständiger deutscher Stipendiat nach dem Koitus »ermattet, sehr angenehm träge und zugleich hellwach und aufmerksam Musik hören, 16. Jahrhundert, 17. Jahrhundert« â, entschied sich Zehnnullacht, keine Tobsucht darzustellen, sondern das Gepäck mitsamt dem Bürostuhl klaglos zurück ins Auto zu tragen, den Kindern anders als Zehndreiundsiebzig ein guter Freund. Auf der Rückfahrt spürte Zehnnullacht in den rundum bemalten Gewölben des Klosters San Beneddeto, das sich an eine Felswand klammert, die enorme Kraft jener Frömmigkeit, die noch einfältig war im Vergleich zu anderen Kulturen des zwölften, dreizehnten Jahrhunderts und zur ästhetischen und politischen Macht, zu der sich der Katholizismus in den Jahrhunderten danach aufschwang, Konzentration, Rückzug, Besinnung wie vor einer Explosion. Wie anders Jesus gesehen wurde, wie sehr man sich zurückhielt, sein körperliches Leid, seine Schwäche, Armut und Erniedrigung auch noch zu feiern, als die Kirche noch nicht Macht und Weltlichkeit darstellte.
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Auf www.mahmouddarwish.com sind zwanzig seiner Gedichte zu hören. Seine Artikulation ist so ausdifferenziert wie die eines Koranrezitators, alte arabische Dichterschule, doch hält er sich im Melodischen zurück und erlaubt sich Pathos nur im Beiseitesprechen. Eine schöne und sehnsüchtige Stimme, die auf der Website vor allem Liebesgedichte vorträgt, wenngleich keine
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