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Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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seifte die Bademeisterin uns von Kopf bis Fuß ein, und die Schrubberei begann von vorn, um auch die zweite Lage zu entfernen. Zum Schluß wusch sie uns warm ab und massierte uns noch. Wenn alle fertig waren, gingen wir in einen anderen Saal mit einem tiefen Becken, in das Mama sich hineinstellte. Die Bademeisterin reichte ihr meine Schwester und mich, damit sie uns mit der Basmallah auf den Lippen, »Im Namen Gottes, des Erbarmers, des Barmherzigen«, für das ghosl ins Wasser tauchte, die rituelle Waschung des ganzen Körpers. Danach durften wir nichts mehr berühren. Auf Zehenspitzen gingen wir zur Ankleide weiter, wo wir in dem Becken noch einmal unsere Füße abwuschen. Dieses Programm dauerte einige Stunden. Obwohl wir schon im Bad von den Knabbereien in der Provianttasche gegessen hatten, waren wir jedesmal sehr hungrig, wenn wir uns angezogen hatten. Schließlich war es schon spät, und die Bademeisterinnen aßen mit Appetit ihr Mittagessen. So ärmlich es anmutete, ein paar Salatblätter, Essig, einige Brocken Brot, lief uns das Wasser im Mund zusammen. Die Bademeisterinnen, die bemerkten, wie wir Kinder auf ihr Essen starrten, fragten Mama um Erlaubnis, uns einige Bissen zu reichen. Dieses bißchen Salat mit Essig und Brot war mir in dem Augenblick die liebste, die leckerste Speise der Welt.« Die Mutter beschreibt im folgenden ausführlich die Armut jener Tage, was ich bei der ersten Lektüre nicht richtig wahrgenommen habe. Um 2:23 Uhr sollte ich die Passage noch aufnehmen, wenigstens eine Zusammenfassung, um der Mutter Gerechtigkeit widerfahren zu lassen: »Wenn ich heute an jene Tage denke, dann führe ich mir das Leben der Menschen vor Augen, ihre vergilbten, sonnengegerbten Gesichter, die Müdigkeit in ihren Augen, die schmächtigen, schlechtgenährten Leiber, ihren kargen Lohn, obwohl sie bis zur Erschöpfung schufteten, zum Beispiel diese Bademeisterin, die unsere Körper stundenlang schrubbte, einseifte, abwusch, massierte, die uns unter größter körperlicher Anstrengung vom Staub und Schmutz des Alltags befreite, so daß wir fröhlich, ja wie neugeboren in unsere feudalen Häuser zurückkehrten, wo uns ein leckeres, reichhaltiges Mittagessen erwartete, ja, ebendiese Bademeisterinnen, die auf dem Boden hinter der Empfangstheke ihr Tuch ausgebreitet hatten, um sich mit einem Brocken Brot und ein paar Salatblättern in Essig für die zweite Hälfte ihres Arbeitstages zu stärken. Ich denke an die schwarzgesichtigen Lorenfrauen, die mit ihren Kindern an der Hand und dem Baby auf dem Arm an unsere Haustür klopften und sich vor Freude kaum beruhigten, wenn sie im Hof das trockene Laub aufsammeln durften und mit dem Lohn ihre Kinder für einen Tag satt bekamen, ich denke daran, wie sich die Lorin und bis auf das Baby alle ihre Kinder in den abgerissenen Kleidern voll Eifer an die Arbeit machten, während wir unter den Bäumen ein Buch lasen oder für die Prüfung lernten, und dann hob die Lorin den gewaltigen Sack auf den Rücken, um das Laub fortzuschaffen, und ich wunderte mich jedesmal, wie sie das nur schaffte, woher sie die Kraft nahm, wohingegen sie meiner Mama nicht oft genug, nicht laut genug danken konnte. Ich denke an Papas Bauern, die ihre Kranken auf einem Esel in die Stadt brachten, im Sommer wie im Winter bei uns Zuflucht nahmen in der Hoffnung, ihre Angehörigen würden geheilt, und froh waren und Dankgebete aussprachen für jede Aufmerksamkeit, jede Tablette, jeden Rest unserer Mahlzeit, den die Dienerinnen in die beiden Zimmer am Eingang trugen. Ich erinnere mich an die Waisenkinder, viele von ihnen behindert, die Mama aus den Dörfern mitbrachte, um sie im Badehaus mit ihren eigenen Händen zu waschen, ich sehe, wie sie nackt vor uns standen und von Kopf bis Fuß mit DDT eingesprüht wurden, um die Läuse abzutöten, und ihre Lumpen faßten selbst die Bademeisterinnen nur mit ausgestreckten Fingern an, um sie wegzuschmeißen, und wenn Mama die Mädchen neu eingekleidet hatte, durften sie uns nach Hause begleiten und konnten es kaum fassen, daß sie an der Tafel des Gutsbesitzers essen und mit seinen Kindern spielen durften, und nach fünf Minuten kehrten sie zu Mama zurück, um zu fragen, wie sie helfen, welche Arbeit sie verrichten könnten. Dann denke ich an einen meiner Bekannten, der im Leben alles erreicht hat, was man sich gewöhnlich wünscht, Wohlstand,

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