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Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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Mädchen die meisten, zierlicher als Kunstturnerinnen oder nachmittags die Zentralafrikanerinnen im Lager, dann die Männer, ebenfalls schmächtig, die ihre ersten Schritte so behutsam auf die Erde setzen, als sei es das erste Mal. Und wirklich ist es ja wie eine Neugeburt für sie. Der Berichterstatter will sie begrüßen, auf arabisch Friede sei mit euch rufen oder ihnen wenigstens zulächeln, aber weil niemand es tut, traut er sich nicht, und so wanken sie ohne jeden Kommentar der Umstehenden, ohne Begrüßung oder Bekundungen der Freude einer nach der anderen aus dem Schiffsbauch hervor, wanken an der Hand der französischen Soldaten die paar Meter übers Deck und werden von italienischen Soldaten, die an der Mole warten, über die Brücke ans Land geleitet und in den Bus gesetzt, um auf den Matratzen aus Isoliermaterial und dem Bettzeug aus Papier gründlich auszuschlafen. Der Berichterstatter zittert, so ergriffen ist er, das Leben zu sehen, das nackte Leben, wie auf der Palliativstation, im Perinatalzentrum oder bei meiner Lobat, die die Arme mit den Handflächen nach oben ausbreitete, das Leben als was es ist: ein Geschenk.
    Als die Flüchtlinge schon abgefahren sind, unterhält er sich mit dem Kapitän, der eigens für ihn von Bord kommt. – Gratulation, ist das erste, was der Berichterstatter sagt, ich gratuliere Ihnen herzlich! – Warum? lächelt der Kapitän, ein großgewachsener, sportlicher Mann von vielleicht vierzig Jahren mit Bürstenhaarschnitt bei beginnender Glatze, und weiß doch sofort, was der Berichterstatter meint. Ihm wenigstens, dem Kapitän, ist die Freude anzumerken. Der Berichterstatter erfährt, wie die Flüchtlinge entdeckt wurden, dichtgedrängt auf einem kleinen Holzboot, nein, nicht im Sturm, da wäre es zu spät gewesen, sondern kurz davor, als der Himmel noch Sterne hatte. – Wie haben die Flüchtlinge reagiert, als sie Ihr Schiff gesehen haben? – Sie haben diskutiert, als wir sie anleuchteten, einige freuten sich und winkten, andere hatten Angst und schienen für Flucht zu plädieren. Mit unseren Beibooten versperrten wir ihnen den Weg. Als wir ihnen sagten, daß wir sie nicht nach Libyen zurückbringen würden, ja, ab da haben sich alle gefreut, da brach Jubel aus. Kurz danach zogen sich die Wolken zusammen, da wurden sie plötzlich ganz still, und als das Gewitter ausbrach, wurde ihnen klar, wie knapp sie dem Tod entronnen waren. – Wie ist es mit anderen Flüchtlingen, die heute nacht auf Booten unterwegs waren? fragt der Berichterstatter: Gibt es eine Chance, daß jemand überlebt hat? Der Kapitän denkt nach und sagt dann: Null Prozent. Als der Berichterstatter nach der Agentur fragt, bricht es beinah aus dem Kapitän heraus: Wenn ich ein Holzboot mit fünfundsechzig Menschen auf dem offenen Meer sehe, dann ist mir FRONTEX scheißegal, dann denke ich nicht an Immigration, an Papiere, an Zollbehörden. Dann rette ich sie, verdammt noch mal. Für ihn als Kapitän, fährt er fort, um seinem kleinen Ausbruch eine Erklärung beizugeben, stünde das Seerecht über etwaigen Verordnungen der Europäischen Union, er dürfte also gar nicht anders handeln. – Sieht das jeder Kapitän so? Dem Kapitän ist sofort bewußt, auf welche Aussagen der Berichterstatter anspielt. – Ich bin mir sicher, sagt der Kapitän, daß jedenfalls alle französischen Kapitäne genauso gehandelt hätten, außerdem hatte ich die Zustimmung meiner Einsatzleitung. Der Berichterstatter ist sicher, daß der Kapitän genauso gehandelt hätte auch ohne die Zustimmung seiner Einsatzleitung.
    Der Abschnitt ihrer Selberlebensbeschreibung, den die Mutter Großvater widmet, enthält nicht viel Neues. Immerhin faßt sie noch einmal zusammen, wie die Familiengeschichte in Isfahan begann: Den Urgroßvater meines Großvaters, Hadsch Mollah Schafi Choí (nach meinem Dafürhalten ist es sein Großvater), verschlug es aus seiner Heimatstadt Choí in Aserbaidschan – ein Türke also – nach Isfahan, wo er beinah alle Ländereien flußaufwärts von Isfahan aufkaufte, Brachland damals. Er hatte sieben Söhne und zwei Töchter. Von seinem ältesten Sohn, auf den der größte Erbteil entfiel, Mohammad Schafi Choí, stammen die heutigen Schafizadehs ab (der Name bedeutet nichts anderes als »Nachfahren des Schafi«). Damals

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