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Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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Pompeji – es ist viel Unheil in der Welt geschehen, aber wenig, das den Nachkommen so viel Freude gemacht hätte, schrieb Goethe während der italienischen Reise einmal pointiert – und langte am Vesuv leider außerhalb der Öffnungszeiten, doch gerade rechtzeitig für den Sonnenuntergang an, staunte übers Herculaneum, wo vor zweitausend Jahren eine Neutronenbombe eingeschlagen zu sein scheint, die nur das Lebendige vernichtet, hielt im Nationalmuseum nicht mehr bis zu den Etruskern durch, wurde von der besten Pizza ihres Lebens belohnt und die Nummer zehn am letzten Tag von Caravaggios Martyrium der heiligen Ursula , dessen Restaurierung ihn an die Notwendigkeit erinnerte, den Roman zu überarbeiten, den ich schreibe, obwohl Überarbeitung das genaue Gegenteil ist. Endgültig im Capodimonti hat selbst die Ältere eine Ahnung bekommen, warum ihr Vater, der früher mehr von Fußball und Rockmusik schwärmte, nunmehr wie ein Somnambuler in Kirchen und Museen voranläuft, El Greco, Raffael, Botticelli und wieder und wieder der späte Tizian, wegen dem die Familie beinah den Zug nach Rom verpaßt hätte. Die Kennermiene hast du schon, spottete die Frau, als er im strömenden Regen meinte, die Familie an der Bushaltestelle in die Malerei der Renaissance einführen zu müssen. Fehlt nur noch die Kenntnis, gab die Nummer zehn zu, die sich trotz Goethe an Goethes Italien entzückt, inklusive Audio-Guide, Jacob Burckhardt im Rucksack, der längst rehabilitiert ist, und bildungsbürgerlicher Pädagogik im Regen. »Ganz anders gehst du aus dem Vatikan des Raffaels und über das Kapitolium herunter, als du aus irgendeiner deutschen Bildergalerie und einem Antikenkabinett heraustrittst«, bezeichnet Jean Paul einen Initiationsritus der deutschen Literatur, ohne daß er selbst seinen Fuß in den Vatikan oder ins Kapitol setzen mußte. Es ist ja nicht nur, daß die Nummer zehn als Deutscher in Rom ist, als solcher bezahlt und aufs Podest gehoben, nicht nur, daß er in der Akademie in einem Umfeld wohnt, das deutscher ist, als er je einen Ort und zumal Köln erlebt hat; sein ganzer Blick auf Italien ist deutsch bis hin zum Dünkel, mit dem er auf die Gegenwart blickt, die dauernden Streiks, die klandestinen Regierungsformen und den libidinösen Ministerpräsidenten, dessen kriminelle Machenschaften nur deshalb nicht mehr die Gerichte beschäftigen, weil es ihm mit den dreistesten Amnestiegesetzen der neueren europäischen Geschichte gelungen ist, sich der Strafverfolgung zu entziehen. Nirgends in Italien ist das Olivenöl hochwertiger als in den zehn Ateliers der Deutschen Akademie, direkt vom Bauern biodynamisch, der Käse nirgends aromatischer, der Schinken nirgends zarter, der Trüffel nirgends echter. Und erst der Park!, die verwitterten Statuen mit und ohne Kopf, die notwendig eigensinnigen Katzen zwischen Tonvasen und Tonkugeln, die Pinien, Zypressen und Zedern, ein Beet mit selbstangebautem Gemüse und eines für die Kräuter, der Lorbeerduft entlang der Promenade. »Wenn ich da, von Blüten übergossen, / Still und trunken ihren Othem trank« klingt wie in der Freitagsbesprechung der frühe Hölderlin, dessen Schönste Gedichte sich die Nummer zehn besorgt hat, um sie einmal nacheinander, in seinetwegen redaktionell konstruierten, von den Eingriffen der Zeit schändlich bereinigten und schnöde als Werk zu rezipierenden Fassungen zu lesen: »O Natur! an deiner Schönheit Lichte / Ohne Müh und Zwang entfalteten / Sich der Liebe königliche Früchte, / Wie die Ernten in Arkadien.« Die Gastgeberinnen in Neapel, die die Nummer zehn zur Korruption befragte, wollten von ihm aufgeschrieben haben, wie er in Rom zum Deutschen wurde; er winkte ab, weil er ins Italienbuch der deutschen Literatur nicht mit einer Drolligkeit eingehen und schon gar nicht bei der Abschlußpräsentation mit seiner Deutschwerdung gefallen möchte. Eigentlich wollten sich die Stipendiaten gegen das sündhaft teure Spektakel zu Wehr setzen, das sie dem Berliner Hofstaat als Narren vorführen wird, doch implodierte die Revolte, als der Direktor das Wort »Bundeseinkäufe« in die Freitagsrunde warf.
    Jede Stadt, jedes Dorf und jeder Platz, wo sie auf der Fahrt nach Frankreich hielten, auch jedes Gasthaus und jedes Camping habe mein Vater zum Anlaß genommen, die Sauberkeit Deutschlands, die Größe seiner

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