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Unterschiede verkannte, die er zwischen dem Leben in Iran und dem Leben der Franken vorgefunden habe. Der Leser möge nur in einen beliebigen Lokalbus steigen oder, wenn er für öffentliche Verkehrsmittel in Iran nicht robust genug sei, eine einzige seiner kostbaren Stunden dafür aufbringen, offenen Auges den Chaharbagh entlangzulaufen, den Einkaufsboulevard von Isfahan: plattgetretene Grünflächen, zerstörte Parkbänke, Abfälle auf den Bürgersteigen, taktlose Zurufe insbesondere gegenüber Frauen, Grobheiten zwischen den Passanten, Schimpfwörter, die über die StraÃe geschrien würden, gerade in diesen Zeiten. »Wer ist dafür verantwortlich, wenn nicht Sie und ich?« fragt GroÃvater und zitiert diesmal den gepriesenen Rumi: »Man erzählt, daà ein Elefant zu einem Brunnen geführt wurde, um daraus zu trinken. Als er sich im Wasser sah, scheute er. Er nahm an, daà er von einem anderen Elefanten scheute, und wuÃte nicht, daà er selbst es war, vor dem er weglief.«
GroÃvaters Hymne auf die Franken setzt sich mit dem Besuch eines christlichen Behindertenheims in Nuren Bergeh fort, wie er Nürnberg seinem Ohr nach buchstabiert. Fereschteh war gelähmt, seit Herr Ingenieur Kermani sie als kleines Kind im Spiel so hoch in die Luft geworfen hatte, daà ihr Schädel an die Zimmerdecke prallte. Um sie besser betreuen zu lassen als bis heute in Iran möglich, hatten meine Tante und Herr Ingenieur Kermani sie mit der Unterstützung meiner Eltern nach Deutschland gebracht. Neu ist für mich allerdings, daà Fereschteh volljährig wurde, wenn GroÃvaters Angabe stimmt. Aus unserem Familienalbum kannte ich nur zwei, drei Photos von ihr als fröhlichem Kind mit Locken. GroÃvater bestätigt, daà ihre Augen, Ohren und GliedmaÃen keinerlei MiÃbildung aufwiesen. Jedoch vermochte sie keines ihrer Körperteile zu steuern, weder zu stehen noch selbständig zu sitzen und daher die elementarsten Bedürfnisse nur mit fremder Hilfe befriedigen. GroÃvater vermag sich die Anstrengungen kaum auszumalen, sie nach Deutschland befördert zu haben, allein schon der Transport im gecharterten Krankenwagen zum Flughafen Teheran, auf einer eigenen Sitzreihe im Linienflugzeug nach Frankfurt und weiter mit dem Krankenwagen nach Nuren Bergeh. Es war gut, daà sie es geschafft hatten, obwohl die Kosten des Transfers und der Unterbringung Herrn Ingenieur Kermani ruinierten. Einen Ort, an dem sie besser aufgehoben gewesen wäre als unter diesen barmherzigen Christen, hätte Fereschteh nicht finden können, ist GroÃvater überzeugt, umgeben von einer stillen Hügellandschaft und mit einem eigenen Park, in dem die Nonnen sie in einem Spezialstuhl täglich spazierenfuhren, dazu gutes, gesundes Essen, saubere, helle Räume und die modernsten Apparaturen und Hilfsmittel. Alles in dem Heim war mit Bedacht eingerichtet worden, alle Abläufe folgten einer Philosophie. Etwa arbeiteten viele der Behinderten regulär mit, so daà sie sich nützlich fühlten und nicht krank. Das Essen auf Fereschtehs Station brachte ein Stotterer, am Empfang saà ein Lahmer, und in der Küche halfen welche mit, deren Kopf anders tickte. Es muà ein groÃes Heim gewesen sein, denn GroÃvater schätzt allein die Anzahl der Bettlägerigen auf etwa dreihundert, die jeder ein Fall für sich waren, der eine mit Riesenkopf, der andere ohne Beine, dem dritten legten sich die Gesichtsmuskeln quer. Obwohl es von der Kirche finanziert und von einem jungen Priester geleitet wurde, manifestierte sich der christliche Charakter auÃerhalb der Gottesdienste nur in der Einstellung, mit welcher der Priester, die Nonnen sowie die Pfleger und Pflegerinnen ihrer Arbeit nachgingen: Es war nicht wichtig, welchen Glauben ein Heimbewohner hatte. Wichtig war es, ihm zu helfen. Oder in den Worten des gepriesenen Saadis, den GroÃvater hier wieder anführt: »Du kannst die Gunst des Herrn nicht erlangen, / suchst du dir nicht die Diener zu verbinden. / Willst Du, daà deiner sich der Herr erbarme, / laà bei dir die Geschöpfe Mitleid finden!â¹Â« Wie exemplarisch wurde in dem Heim der Grundsatz verwirklicht, den GroÃvater für genuin islamisch hielt, doch in Iran so oft verletzt sah, am schändlichsten von Geistlichen selbst: Es ist wichtiger, ein guter Mensch zu sein als ein guter Muslim. Das ist keine Floskel für den
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