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Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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Unterschiede verkannte, die er zwischen dem Leben in Iran und dem Leben der Franken vorgefunden habe. Der Leser möge nur in einen beliebigen Lokalbus steigen oder, wenn er für öffentliche Verkehrsmittel in Iran nicht robust genug sei, eine einzige seiner kostbaren Stunden dafür aufbringen, offenen Auges den Chaharbagh entlangzulaufen, den Einkaufsboulevard von Isfahan: plattgetretene Grünflächen, zerstörte Parkbänke, Abfälle auf den Bürgersteigen, taktlose Zurufe insbesondere gegenüber Frauen, Grobheiten zwischen den Passanten, Schimpfwörter, die über die Straße geschrien würden, gerade in diesen Zeiten. »Wer ist dafür verantwortlich, wenn nicht Sie und ich?« fragt Großvater und zitiert diesmal den gepriesenen Rumi: »Man erzählt, daß ein Elefant zu einem Brunnen geführt wurde, um daraus zu trinken. Als er sich im Wasser sah, scheute er. Er nahm an, daß er von einem anderen Elefanten scheute, und wußte nicht, daß er selbst es war, vor dem er weglief.«
    Großvaters Hymne auf die Franken setzt sich mit dem Besuch eines christlichen Behindertenheims in Nuren Bergeh fort, wie er Nürnberg seinem Ohr nach buchstabiert. Fereschteh war gelähmt, seit Herr Ingenieur Kermani sie als kleines Kind im Spiel so hoch in die Luft geworfen hatte, daß ihr Schädel an die Zimmerdecke prallte. Um sie besser betreuen zu lassen als bis heute in Iran möglich, hatten meine Tante und Herr Ingenieur Kermani sie mit der Unterstützung meiner Eltern nach Deutschland gebracht. Neu ist für mich allerdings, daß Fereschteh volljährig wurde, wenn Großvaters Angabe stimmt. Aus unserem Familienalbum kannte ich nur zwei, drei Photos von ihr als fröhlichem Kind mit Locken. Großvater bestätigt, daß ihre Augen, Ohren und Gliedmaßen keinerlei Mißbildung aufwiesen. Jedoch vermochte sie keines ihrer Körperteile zu steuern, weder zu stehen noch selbständig zu sitzen und daher die elementarsten Bedürfnisse nur mit fremder Hilfe befriedigen. Großvater vermag sich die Anstrengungen kaum auszumalen, sie nach Deutschland befördert zu haben, allein schon der Transport im gecharterten Krankenwagen zum Flughafen Teheran, auf einer eigenen Sitzreihe im Linienflugzeug nach Frankfurt und weiter mit dem Krankenwagen nach Nuren Bergeh. Es war gut, daß sie es geschafft hatten, obwohl die Kosten des Transfers und der Unterbringung Herrn Ingenieur Kermani ruinierten. Einen Ort, an dem sie besser aufgehoben gewesen wäre als unter diesen barmherzigen Christen, hätte Fereschteh nicht finden können, ist Großvater überzeugt, umgeben von einer stillen Hügellandschaft und mit einem eigenen Park, in dem die Nonnen sie in einem Spezialstuhl täglich spazierenfuhren, dazu gutes, gesundes Essen, saubere, helle Räume und die modernsten Apparaturen und Hilfsmittel. Alles in dem Heim war mit Bedacht eingerichtet worden, alle Abläufe folgten einer Philosophie. Etwa arbeiteten viele der Behinderten regulär mit, so daß sie sich nützlich fühlten und nicht krank. Das Essen auf Fereschtehs Station brachte ein Stotterer, am Empfang saß ein Lahmer, und in der Küche halfen welche mit, deren Kopf anders tickte. Es muß ein großes Heim gewesen sein, denn Großvater schätzt allein die Anzahl der Bettlägerigen auf etwa dreihundert, die jeder ein Fall für sich waren, der eine mit Riesenkopf, der andere ohne Beine, dem dritten legten sich die Gesichtsmuskeln quer. Obwohl es von der Kirche finanziert und von einem jungen Priester geleitet wurde, manifestierte sich der christliche Charakter außerhalb der Gottesdienste nur in der Einstellung, mit welcher der Priester, die Nonnen sowie die Pfleger und Pflegerinnen ihrer Arbeit nachgingen: Es war nicht wichtig, welchen Glauben ein Heimbewohner hatte. Wichtig war es, ihm zu helfen. Oder in den Worten des gepriesenen Saadis, den Großvater hier wieder anführt: »Du kannst die Gunst des Herrn nicht erlangen, / suchst du dir nicht die Diener zu verbinden. / Willst Du, daß deiner sich der Herr erbarme, / laß bei dir die Geschöpfe Mitleid finden!‹« Wie exemplarisch wurde in dem Heim der Grundsatz verwirklicht, den Großvater für genuin islamisch hielt, doch in Iran so oft verletzt sah, am schändlichsten von Geistlichen selbst: Es ist wichtiger, ein guter Mensch zu sein als ein guter Muslim. Das ist keine Floskel für den

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