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Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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die Pfleger und Pflegerinnen sowie viele Behinderte, um für Fereschteh zu beten und ihr das letzte Geleit zu geben. Wir wurden gefragt, ob wir die Verstorbene sehen möchten. Da wir nickten, führten uns die Nonnen in ein Zimmer und öffneten den Sarg. Wie eine Braut lag Fereschteh da, wie eine Braut, die zum Altar geführt wird, blütenweiß ihr Kleid, blütenweiß die Blumen, die in ihr Haar geflochten und im Sarg ausgestreut waren. Ich fragte die Nonnen, warum sie Fereschteh so geschmückt hätten. Sie sagten, weil sie ein Mädchen war und noch nicht vermählt. Nach dem Gottesdienst trugen sechs junge Männer in feinen Anzügen den Sarg aus der Kirche zum nahe gelegenen Friedhof. Der Respekt, der sich in ihren Bewegungen, ihren Blicken und ihrer Erscheinung ausdrückte, wäre einer Königin würdig gewesen. Als der Sarg in die Erde gelassen wurde, war ich die einzige, die ihre Gefühle nicht beherrschen konnte. Eine der Nonnen führte mich vom Grab und von der Trauergemeinde fort. ›Warum weinst du?‹ fragte sie mich: ›Warum hast du deine Geduld und deinen Langmut verloren, wo es doch Gottes Wille ist?‹ Ich werde nie vergessen, wie sie sagte, daß es ein Ausdruck der Unzufriedenheit und des Protestes gegen Gottes Ratschluß sei, beim Tod eines Menschen zu weinen: ›War es denn unser Wille, auf die Welt zu kommen, daß es in unserem Willen stünde, wann wir sie wieder verlassen? Wir müssen uns in den Willen Gottes ergeben.‹« »Meine liebe Tochter denkt mit großer Wahrscheinlichkeit«, fährt Großvater fort, »daß für ihre Landsleute die Worte der Nonne einen Neuigkeitswert hätten. Sie hat allen Grund, so zu denken. Es ist zwanzig Jahre her, daß sie unser Land verließ, und religiöse Lehren gehören bestimmt nicht zu den Dingen, die sie zuvor im Elternhaus gelernt und denen sie Beachtung geschenkt hatte. Meine liebe Tochter weiß nicht oder übersieht wahrscheinlich nur, daß die Nonne im letzten Satz gleichsam eine Definition des Wortes ›Islam‹ gegeben hat, das im Arabischen nichts anderes als ›Ergebung in Gottes Wille‹ bedeutet. Sie hat den Ausspruch oft gehört, der an jedem Totenbett, zu jeder Totenfeier und an jedem Grab gesagt wird, ›Wir sind Gottes, und zu Ihm kehren wir zurück‹, aber wahrscheinlich niemals seine Bedeutung bedacht. Von ihrem muslimischen Vater, ihrer muslimischen Mutter, ihren muslimischen Lehrern und den anderen Muslimen hat sie nichts anderes gesehen, als daß sie weinten, wehklagten, schrien, sich auf den Kopf und gegen die Brust schlugen, wenn ein Angehöriger starb. Hier erfüllt es mich ein weiteres Mal mit Scham, daß andere Menschen den Geist und die Seele unserer eigenen Religion verkörpern, den Geist und des Seele des erhabenen Korans, während wir, die wir uns den Anschein geben, Muslime zu sein, uns nur mit der Hülle begnügen, mit den Regeln, Strafen und wörtlichen Bedeutungen. Was hinter den Regeln, Strafen und Worten steht, worauf sie hinauswollen, das ignorieren wir oder haben wir erst gar nicht verstanden.« Immerhin habe eine Gruppe gottesfürchtiger Menschen vor kurzem das erste Pflegeheim Isfahans gegründet, fügt Großvater noch an und hofft, daß die Behinderten dort mit der gleichen Sorgfalt und Liebe versorgt würden wie Fereschteh in Nuren Bergeh, mehr noch: Das Heim möge zum Modell für ähnliche karitative Einrichtungen im ganzen Land, ja, in der gesamten islamischen Welt werden. Leider kenne der Islam keine Institution wie die Kirche, die die Wohlfahrt organisiere. Großvater hat meinem Vater um eine Beschreibung des Heims in Nuren Bergeh mitsamt einer Darstellung seiner Philosophie gebeten, um sie den Initiatoren des Isfahaner Projekts als Anregung und Zeichen seiner Unterstützung zu übermitteln. Mein Vater hat auch schon geantwortet. Da seine eigenen Kenntnisse nicht ausreichten, hat er beim Direktor des Heims in Nuren Bergeh eine detaillierte Dokumentation angefordert, die allerdings auf deutsch verfaßt ist. Sobald die Übersetzung vorliegt, wird Großvater sie der Gruppe gottesfürchtiger Isfahanis schicken.
    Der katholische Freund schließt nicht aus, daß der Evangelist Lukas persönlich das Bild gemalt habe, ein Augenzeuge also. Er hat Artikel darüber geschrieben, wie er es aufstöberte, von denen ich erst einen gelesen habe. Im

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