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Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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Dann stellen sie fest, daß auch das folgende, wieder sehr lange Kapitel von Tschamtaghi handelt. Sie lesen es nicht mehr, dafür ist es zu spät geworden und der morgige Abend nicht nur der Schwiegermutter heilig, der die Brüder und Schwestern eine Einlaßkarte für den Petersdom besorgt haben. Das sind Wendungen, die in keiner Integrationsdebatte vorkommen, obwohl seit jeher nur Auswanderungsgeschichten sie so unglaublich erzeugen: Mitsamt ihrer frommen Mutter von der katholischen Familie verstoßen, weil sie einen Muslim heiratete, verdankt sie dreißig Jahre später dem muslimischen Schwiegersohn einen Platz in vorderster Reihe, die Geburt Christi im Herzen der Christenheit zu feiern. Der Schwiegervater möchte nur rasch bis nach China sehen, ob dieser Hadsch Mollah Schafi Choí etwas mit Friedrich von Bodenstedts berühmtem Mirza Schaffy zu tun hat, der ungefähr zur selben Zeit und ebenfalls in Aserbaidschan lebte. Da er sich an den Computer der Frau setzt, in dem das Kabel steckt, erwähnt der Enkel rasch die Anrufe in München. Frohe Weihnachten hat der Enkel weder dem Bildhauer noch dem Musiker zu wünschen gewagt.
    Die Nummer zehn hat die Harley-Davidsons wieder gehört, hinter denen er am Hafen von Barcelona stand. Erst fragte er sich, welcher Staatsgast wohl den Papst besuche, dann wunderte er sich, daß die italienische Polizei dem Klang der Motoren nach zu urteilen nicht Moto Gucci fährt. Fährt sie doch, stellte er fest, als zwei Polizisten die Autos von der Fahrbahn pfiffen. Drei Minuten später, in deren Verlauf sich alle Touristen, Politessen und Müllmänner nach dem Motorengeräusch umschauten, fuhren die Harley-Davidsons in Reih und Glied die Via della Conciliazione zum Petersplatz herauf. Die Vandalen können nicht sonderbarer ausgesehen haben: inmitten der Hochrenaissance zweihundert Leder- und Chromfetischisten in ihren tiefliegenden Polstern, die Vergaser so eingestellt, daß sie alle paar Sekunden Salut schossen, die Arme ausgebreitet wie Muslime beim Beten oder der Papst, wenn er auf seinen Balkon tritt. Man tut so, als umfasse man die ganze Welt, obwohl es nur ein Meter ist, höchstens ein Meter zwanzig. Kinder winkten, Eltern knipsten, nur die Fähnchen fehlten zum Staatsbesuch. Auf dem Petersplatz angekommen, bildete das Orchester röhrend einen Kreis. Eine Harley-Davidson im Leerlauf, die bis zum Anschlag aufheult, ist eine Arie, zweihundert sind Hardrock. Wäre der Papst auf die Terrasse getreten, um die Arme auszubreiten, wäre die Choreographie perfekt gewesen, doch hielt er sich wahrscheinlich am Schreibtisch die Ohren zu. Der Nummer zehn am Straßenrand war ebenfalls nicht nach Beten. Lieber hätte er sich hinter einen der Fetischisten gesetzt, als sich die Harley-Davidsons nach dem Applaus der Touristen, Politessen und Müllmänner wieder in Reih und Glied formierten, und wäre mit ihnen übers Meer gefahren. An der Poolbar hätte er den richtigen Whisky bestellt und zum Dank für das Jahr auf den Papst angestoßen. Aus Gründen der Gesundheit trank selbst Großvater welchen.
    Während Hölderlin dank der Vermittlung Schillers als Hofmeister in Weimar arbeitete, floh der etwa gleichaltrige Seminarist Mollah Schafi vor der russischen Kolonialherrschaft und den beengten Verhältnissen in seiner aserbaidschanischen Heimatstadt Choy. Nicht wissend wohin, wandte er sich zunächst nach Mekka. Dort oder womöglich auf dem Rückweg begegnete er einem Hodschatoleslam aus Isfahan, dessen Namen nicht einmal der Schwiegervater vollständig entziffern kann, da Großvater manche Buchstaben so oft korrigiert hat, daß sie unleserlich wurden: Seyyed Mohammad Bagher Schaf… Damals war der Titel des Hodschatoleslam noch wenigen, herausragenden Gelehrten der schiitischen Welt vorbehalten. Wie aus den Berichten hervorgeht, muß es jedoch mehr als nur die Empfehlung einer theologischen Autorität, sondern wirkliche Freundschaft gewesen sein, weshalb der junge Seminarist als Hadsch Mollah Schafi Choí, wie er nunmehr genannt wurde, dem Hodschatoleslam nach Isfahan folgte. Dort erlangte er selbst den Rang eines Hodschatoleslam und stand der Seyyed-Moschee vor, der gerade erbauten, größten Moschee Isfahans. Auf einer seiner Touren, denen sich zu entziehen vielleicht der Respekt, jedoch nicht seine Durchsetzungskraft erlaubte, führte mich vor Jahren der Onkel in die Moschee, um mit

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