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Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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diese Woche täglich ab 15 Uhr auf der Arbeit, verriet sie dem Sohn, also in vierzig Minuten. Sobald das Flugzeug seine endgültige Parkposition erreicht hat, ruft er an und läßt sich durchstellen, den Namen hat er aufgeschrieben. Tage wie der gestrige, die er telefonierend zwischen Verwandten, Krankenhaus und Notrufzentrale verbringt, werden sich häufen. Wegen des Feiertags muß er selbst im Internet nach einem Flug und Mietauto suchen, das kann er sonst zur Not dem Reisebüro überlassen, das zwanzig, dreißig Euro Servicegebühr berechnet. Vor dem Abflug hat er noch Zeit, die Tochter zur Schule zu bringen. Der Flughafen liegt hundertfünfzig Kilometer entfernt, weil es von Köln aus viermal so teuer geworden wäre. Der Vater ist noch kein solcher Notfall, daß der Sohn nicht mehr rechnet. Den Navigator, der ihn zum Flughafen lotste, steckt er ein, um ihn später an die Scheibe des Mietwagens zu pressen, 96 Euro für drei Tage, Kilometer unbegrenzt, sechshundert Euro Selbstbeteiligung allerdings. Mit Navigator wären es dreißig Euro mehr gewesen. Daß er nicht daran gedacht hat, CD s mitzunehmen, ärgert den Sohn. Gut, ein zweites, drittes, viertes Klavierkonzert hat jedes Radio in Europa, hingegen auf die medizinische Versorgung in Spanien stellt er sich besser vorher ein. Zügig wird er das Handling übernehmen, wie die Fluggesellschaft es nennen würde, sich mit den Krankenschwestern auf spanisch zu verständigen versuchen, auf englisch mit den Ärzten, die nie dasein werden, und vom Handy aus mit der Notrufzentrale des Automobilclubs. Er wird den Kontakt zur Mutter, die einmal ausschlafen muß, wie zu den Brüdern halten. Den Abend wird er mit der Mutter ohne viele Worte verbringen, in seltener Zärtlichkeit. Sie wird gekocht haben für ihn. Das sind die Tage, die absehbar sind und ihn dennoch so unvorbereitet treffen, daß er vermutlich das Bewußtsein ausschalten würde, um weniger zu spüren und besser zu funktionieren, wenn er nicht den Roman schriebe, den jemand lesen wird. Wer immer Sie sind, ersparen Sie ihm wenigstens heute den Vorwurf, daß er Leben und Leid seiner Nächsten benutzt. Auch ohne den Roman, den ich schreibe, säße er jetzt an gleicher Stelle. Auch wenn er den Laptop zu Hause gelassen hätte, gehörte die Reise, und sei es als Lücke, zu seinem Hauptwerk . Die Frau auf dem Nebensitz, die so freundlich war, ihm ein Gummibärchen ihrer Tochter anzubieten, schaut immer wieder auf den Bildschirm, den er auf dem Tischchen so quergestellt hat, daß er sich beim Schreiben den Rücken verrenkt. – Das passiert automatisch, entschuldigt sie sich, da sie den letzten Satz gelesen hat. – Ich weiß, sagt der Sohn, ich bin Ihnen auch nicht böse. – Ich habe wirklich versucht, nicht hinzuschauen. – Nun treten Sie im Roman auf, den ich schreibe. – Sie schreiben einen Roman?
    Ausgerechnet in Krankenhäusern, wo das Leben knapp wird, scheint die Uhr keine Bedeutung zu haben. Daß man permanent auf etwas wartet – den Arzt, die Bescheinigung, den Pfleger, der einen zur Untersuchung oder zum Baden abholt –, mag mit den komplizierten Abläufen zu tun haben, die mit öffentlichen Mitteln kaum zu organisieren wären, wenn das Personal nicht die freie Verfügbarkeit der Patienten und Angehörigen voraussetzte. Merkwürdig jedoch ist die Selbstverständlichkeit, mit der man die Verschwendung der eigenen Zeit akzeptiert, und zwar um so klagloser, je schlimmer die Krankheit, je spürbarer die Hinfälligkeit. Heute morgen warteten die Mutter und der Sohn Stunden auf die Ärztin, die die Entlassung unterschreiben sollte, die längst im Schwesternzimmer bereitlag. Ein-, zweimal fragte der Sohn nach, wo die Ärztin bliebe. Daß sie schon eintreffen werde, hätte er als Antwort in keinem Geschäft, in keiner Behörde und von keiner Telefonzentrale hingenommen. Heute morgen hätte er nicht fragen müssen, um sich mit der Antwort dennoch zufriedenzugeben. Er hätte die Zeit nutzen können, um die Eltern in ein Gespräch zu verwickeln, wie sie es selten haben, oder sie ausfragen können über ihre Jahre in Iran, über die er doch alles erfahren will, um das wenige zu behalten. Statt dessen redeten sie über Medikamente, Versicherungen, den Rücktransport mit dem Automobilclub, solange die Themen reichten. Ansonsten schaute er auf den Boden

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