Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
Vom Netzwerk:
verdrängt, Großajatollah Chomeini einmal verehrt zu haben, wenn auch als Kind und für kurze Zeit, nach der Rückkehr aus Neauphle-le-Château. Den drei Brüdern ist das nicht passiert. Der spätere Orthopäde meditierte im Louvre mit geschlossenen Augen auf einem Stuhl, statt sich wenigstens die Mona Lisa anzuschauen, weil die äußeren Bilder nur Schein sind, der spätere Internist konzedierte lediglich, daß Chomeinis Erscheinung ihn beeindruckt habe, und der spätere Ophthalmologe fuhr lieber mit seiner neuen Freundin in die Skiferien, als Weltgeschichte zu erleben. Erst sah ich Großajatollah Chomeini inmitten eines Pulks von Iranern die Straßenseite wechseln, dann auf dem Teppich sitzen, in einem ansonsten kahlen Zimmer, vor und neben ihm die Menschen auf Knien. Ich nehme an, daß auch ich ihm die Hand schütteln durfte, da alle Besucher zu ihm geführt wurden, wenngleich ich mich nicht daran erinnere; geküßt habe ich Chomeinis Hand mit Sicherheit nicht, da ich das nicht vergessen hätte. Einen Parka trug ich, den grünen Bundeswehrparka, den damals viele elfjährige Jungen in Siegen trugen, das Hemd grundsätzlich über der Hose, immer ein Kaugummi im Mund, HubbleBum , das um die Jahreswende 1979 in Deutschland alle Kinder aßen, das Haus hatte einen Innenhof, und die Straße sah ganz anders aus, als ich mir Paris vorgestellt hatte, eher wie Nordteheran, eine Wohngegend fast ohne Verkehr und mit hohen Bäumen, Laub auf den Bürgersteigen, ältere Einfamilienhäuser. Der Revolutionsführer hatte nichts Unfreundliches wie in den Fernsehaufnahmen, schien eher entrückt zu sein, einer anderen Gegenwart zugehörig, schon wie er aussah, groß gewachsen, mit schwarzem Umhang, Turban, dem langen weißen Bart und tiefen Augenhöhlen. Ich bin gar nicht sicher, ob ich jemals zuvor einen Ajatollah aus solcher Nähe gesehen hatte, bestimmt keinen Großajatollah, und dann war es gleich Chomeini. Nie wieder habe ich einen Menschen getroffen, der ein so starkes und deswegen unangestrengtes Selbstbewußtsein ausstrahlte. Dieser Mann ruhte in sich – wenn ich im nachhinein meinen stärksten Eindruck benenne, war es dieser –, ruhte in sich, wie ein Berg ruht oder ein großer Fels. Aber nur im nachhinein machte ich mir klar, daß eben seine Sicherheit die Skrupellosigkeit ermöglichte, mit der Chomeini log, wenn es seiner Sache diente, oder Hunderte, Tausende hinrichten ließ, wenn sie seiner Sache nicht mehr dienten, enge Vertraute darunter, Familienangehörige. Als ihm 1977 die Nachricht von der Ermordung seines ältesten Sohns überbracht wurde, zeigte er keinerlei Regung, sondern murmelte nur den Koranvers »Wir sind Gottes, und zum Ihm kehren wir zurück«. Chomeini bemerkte die Bestürzung in den Gesichtern der Umstehenden, denen seine Reaktion beziehungsweise das Ausbleiben jedweder Reaktion die Sprache verschlagen hatte, und fragte: »Und was gibt’s sonst Neues?« Dann diese Szene, die in keiner Biographie fehlt, am 1. Februar 1979 im Flugzeug nach Teheran, wo ihn fünfzehn Jahre nach seiner Ausweisung Millionen Menschen als unumstrittenen Führer einer der großen Revolutionen der modernen Geschichte auf den Straßen erwarteten: Ein deutscher Reporter beugte sich zu ihm und fragte erwartungsvoll, was er in diesem historischen Moment empfinde. Der Führer antwortete: »Nichts.« Der gleiche Großajatollah Chomeini, der drei Jahre nach der Rückkehr bereits den Vertrauten hinrichten ließ, der im Flugzeug neben ihm sitzen durfte, blieb in Neauphle-le-Château einmal so lange im Bad, daß sich seine Frau und die übrigen Angehörigen Sorgen machten. Als sich die Tür nach zwanzig oder fünfundzwanzig Minuten schließlich öffnete, sagte der sechsundsiebzigjährige Führer der Islamischen Revolution, daß er das Klo geputzt habe: »Die Menschen, die die Toilette benutzen, sind meine Gäste. Es ist meine Pflicht, dazu beizutragen, daß sie sauber bleibt.« Hitler, Lenin oder Mao haben in ihrer Jugend vieles gesagt oder getan, was die Hagiographen später retuschieren, wenn nicht ignorieren mußten. Bei Großajatollah Chomeini finde ich selbst in den kritischsten Biographien keine Aussetzer, keine Umwege, keine Spinnereien. Er war nicht immer der gleiche, hatte in jüngeren Jahren ein flammendes Temperament, und doch lief alles auf den zu, der

Weitere Kostenlose Bücher