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die Zeitungen mit nach Hause, auf die sich alle stürzten. Noch beängstigender waren die Gerüchte, die in der Familie, in der Schule und unter den Freunden der beiden Onkel erzählt wurden. Heute ist wieder ein Minister verhaftet worden, ein Parlamentsabgeordneter, ein Arbeiterführer, ein Student, ein Bekannter. Dann die Titelseite mit dem Photo von Mossadeghs AuÃenminister Doktor Fatemi, das Gesicht von der Folter gezeichnet, die Kleidung zerrissen, die Haare geschoren, dann die Titelseite mit dem Photo, wie Doktor Fatemi zum Galgen geführt wird und die andere Titelseite mit dem Photo, wie Doktor Fatemi mit verdrehtem Kopf am Galgen hängt. Die Familie hatte Angst, daà auch GroÃvater verhaftet würde, der jedoch nur einige Zeit später die Nationalbank verlieÃ. Ob seine Rente deshalb so niedrig ausfiel? Den Amerikanern, die bald nach der Rückkehr des Schahs in die Neubausiedlungen Isfahans einzogen, schrieb man die schlimmsten Verfehlungen zu, Trinkgelage, Sexparties, Vergewaltigungen, Mädchenraub. Einige Zeit später riefen die Berichte und Photos von Mossadeghs Gerichtsverhandlungen lautes Wehklagen im Haus am Teheraner Tor hervor. GroÃvater schloà sich wieder in sein Zimmer ein und war tagelang nicht zu sehen. An einem anderen Tag hörte die Mutter GroÃvater hinter der Tür laut schimpfen. Kurz darauf stürzte sein Cousin Reza Rastegar aus dem Zimmer, der Mitte der fünfziger Jahre bereits zu den Eminent Persians gehörte, und verlieà gruÃlos das Haus. Am Abend erfuhr die Mutter, daà Doktor Rastegar vorgeschlagen hatte, die Tante dem Schah vorzustellen, der nach der Scheidung von Soraya eine Braut suchte. â Führ doch deine eigene Tochter am Hof vor! hatte GroÃvater gebrüllt: In meiner Familie heiratet eine Frau keinen Schah.
Am Freitag, dem 17. April 2009, läuft im deutschen Fernsehen um 23:34 Uhr iranischer Zeit der letzte Film, in dem Anka Lea Sarstedt spielte. Gerade spricht sie mit dem Kommissar über ihren vermiÃten Sohn, der Aladin heiÃt, wie es sich deutsche Drehbuchautoren eben für Araber so ausdenken. Jetzt weint sie, auch der Kommissar wirkt betroffen. Die Handlung ist der ehemaligen Nummer zehn zu verworren, um sie zu begreifen, während er in Isfahan Schmelzles Reise nach Flätz zu lesen versucht, um Opfer des Tsunami geht es und um Luftgitarristen. Jetzt nimmt sich der Hauptkommissar mit seiner Kollegin ein Hotelzimmer. Jetzt schlafen sie miteinander. Jetzt ein Brandanschlag. Jetzt eine verkohlte Leiche. Jetzt ein anderer nackter Mann unter der Dusche. Jetzt eine Kneipe in München. 23:53 Uhr. 21:23 Uhr. Nach dem letzten Film, in dem Anka Lea Sarstedt spielte, wird das Nachrichtenjournal des deutschen Fernsehens den iranischen Präsidenten zeigen, der seinem Land ein weiteres Mal vor den Vereinten Nationen Schande bereitet hat. Wenigstens sind viele, wenn nicht die meisten Delegierten aus dem Plenum marschiert, als der Präsident wieder mit dem Holocaust anfing und wer von den Seiten der Geschichte getilgt werde. Weil das iranische Staatsfernsehen nicht mit dem Auszug der meisten Delegierten gerechnet hatte, übertrug es die Rede des Präsidenten nicht einige Sekunden zeitversetzt wie die Spiele der FuÃballnationalmannschaft, bei denen es unbotmäÃiges Verhalten des Publikums gegebenenfalls zensiert. So konnte jeder Iraner live mit ansehen, wie sein Land siebenundfünfzig Jahre nach Mossadeghs glänzendem Auftritt vor den Vereinten Nationen dasteht: als ein Paria. Einer von achtzig Millionen Iranern wartet in Isfahan auf Anka Lea Sarstedt, deren Rolle so groà ist, daà ihr Name im Vorspann gezeigt wurde. Jean Paul beginnt Schmelzles Reise nach Flätz mit der Entschuldigung, daà der Setzer zwei verschiedene Manuskripte aus Versehen für zusammengehörig gehalten und untereinander gesetzt habe. Sie sind durch eine Linie getrennt wie in John Coetzees Tagebuch eines schlechten Jahres , das aus einer Folge von Essays und zwei Erzählungen besteht. Durch einen einzigen Kniff, der Teilung des Satzbildes ähnlich wie in mittelalterlichen Bibel- oder Korankommentaren in drei parallel verlaufende Texte, verwandelt Coetzee eine einfache, sehr kurze und geradeheraus erzählte Geschichte in ein Spiegelgebilde, das mehr Brechungen, Blickwinkel, Zufälligkeiten und Illusionen birgt als jeder Blog. Bei Jean Pauls unterem Text geriet zusätzlich die Reihenfolge der
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