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Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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zurückfliegen wird, sondern bis auf weiteres gar nicht, der Frühgeborenen, in deren Alter die Veränderungen noch so schnell sind, daß das Auge sie sieht, ist es dem Berichterstatter auch schrecklich peinlich, so viele Menschen und die deutsche Diplomatie auf so törichte, einmalig bescheuerte Weise in die Bredouille gebracht zu haben. Klar ist, zu wem er gehört, auf wen allein er sich verlassen, mit wem er offen reden kann, den Deutschen, die ihn trotz des iranischen Passes als einen der ihren betrachten, wie ihn die Botschaft beruhigt: Mit Ihrem Bericht dienen Sie unserer Öffentlichkeit. Und hoffentlich den Menschen hier, fügt der Berichterstatter kleinlaut hinzu. Allein in seinem eigenen Bekanntenkreis, der in Teheran nicht besonders groß ist, sind acht Demonstranten gestern abend nicht nach Hause zurückgekehrt. Weder die Polizei weiß etwas über sie, noch waren sie bisher in einem der Krankenhäuser zu finden. Die staatliche Nachrichtenagentur spricht von dreizehn Toten, Gerüchte von ganz anderen Zahlen. In der Stadt schien es ruhig zu sein, während der Berichterstatter vom Fundbüro zur Botschaft, von der Paßbehörde noch einmal zum Flughafen, vom Flughafen noch einmal zur Botschaft fuhr, an allen größeren Plätzen Polizei, Antikrawallkommandos oder Freiwilligenmilizen. Es herrschte auch Verwirrung, wo überhaupt eine Demonstration stattfinden könnte, unterschiedliche Orte machten die Runde und wurden widerrufen, sicher auch vom Geheimdienst gestreut, um Verwirrung zu stiften, das Mobilfunknetz den ganzen Tag abgeschaltet, das Internet funktioniert nicht, die Satellitensender nicht zu empfangen. Die Verhaftungswelle setzt sich fort, reicht immer tiefer in den Staat und immer höher in der Hierarchie. Von den drei Journalisten, die der Berichterstatter im Büro seines Mentors traf, sind zwei vom Geheimdienst abgeholt worden. Das Staatsfernsehen führt geständige Spione vor, nennt die Getöteten Terroristen und beschuldigt den Westen, den Aufstand geschürt und bezahlt zu haben. Einzelne Reformer melden sich wütend zu Wort, auch der höchststehende Großajatollah aus Ghom; ein zweiter meldet resigniert, daß er sich melden würde, hätte es noch Sinn. In der Paßbehörde, wo für zwölf Millionen Teheraner drei Schalter geöffnet sind, so daß sich die Antragsteller bis zur Straße hinaus ballen, hatte selbst die Beamtin Mitleid. Ja, sie habe auch Kinder und ahne, wie ihm zumute sei. Auch dies ein Wimpernschlag nur: ein Reisepaß, der aus einem Sakko rutscht und damit zwar kein Leben – oder vielleicht doch? –, aber mindestens das nächste Jahr auf den Kopf stellt.
    Er hatte Gott vorher schon mehrfach angefleht, insofern wäre es Suggestion zu glauben, daß er gerade diesmal erhört worden sei, oder den Vorgang mit der Erweckung zu vergleichen, die Großvater in einer streichholzschachtelgroßen Kiste erwartete. Von der kurzen Nacht ruhte der Enkel sich auf dem Bett des kleinen Gästezimmers aus, dessen einziges Fenster zu einem Luftkorridor geht, in dem die Klimaanlagen gespenstischer pochten als in Sure 101. Während er deprimiert von der Aussicht, die nächsten Monate in Teheran von Amt zu Amt laufen zu müssen, per Bauchatmung in den Schlaf sank, ergab er sich gleichzeitig in den Willen eines anderen: Wenn Hilfe ist, dann nur noch von Gott. Wie gesagt, er hatte in der Nacht bereits mehrfach gebetet, morgens und mittags zu den vorgesehenen Zeiten erneut, aber erst nach dem Besuch in der Paßbehörde die Hoffnung aufgegeben, die Kinder dieses Jahr wiederzusehen. Das Telefon klingelte in dem Augenblick, als er körperlich zu spüren meinte, daß er etwas losließ, ein kleiner Ruck, wie man sich auf dem Boot vom Ufer abstößt oder vom Fensterbrett springt. Der Fahrer, der etwas vom Militär versteht, hatte den Paß gefunden und richtig kombiniert, wo in Teheran der Berichterstatter seine Nummer hinterlassen würde. Kein Wunder, daß der Fahrer nicht im Antikrawallkommando gelandet ist.
    Im Flugzeug staunt der Berichterstatter über den euphorischen Ton der internationalen Kommentare, die die Demonstranten hochleben lassen. Das mag nett gemeint sein, aber verkennt, daß die Opposition gegen diesen gewaltigen und gewaltbereiten Sicherheitsapparat keine Chance hat. Noch sind nicht einmal die Revolutionsgarden zum Einsatz gekommen. Montag, 22. Juni 2009, 5:12

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