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Knopfdruck still. Als der Sanitärhändler ihnen die Glastür öffnet und das Rollgitter hochfährt, betreten der Ingenieur, der Student, die Lehrerin und der Berichterstatter ein verlassenes Schlachtfeld, Rauchschwaden, der Boden übersät mit Steinen und den Glassplittern der Autos, hier und dort Feuer. Aus den benachbarten und gegenüberliegenden Häusern kommen zu viele Menschen zum Vorschein, als daà sie alle Anwohner sein könnten, und reiben sich die Augen. In der Luft liegt noch der Geruch des Tränengases.
Zwei Stunden dauert es, bis der Berichterstatter eine Lücke findet, um das Gebiet zu verlassen, in dem es wie Krieg aussieht, noch mal so lang der Rückweg in den Norden, weil die StraÃen an vielen Stellen blockiert sind. Die Arbeiter der U -Bahn, die neben der Stadtautobahn gebaut wird, stehen auf ihren mehrstöckigen Wohncontainern und machen das Siegeszeichen der grünen Bewegung, als im Hubschrauber die Staatsmacht über ihnen kreist, ebenso die meisten Autofahrer, die unten im Stau stecken. Auch weit entfernt vom eigentlichen Schauplatz der Demonstration kommt es zu Auseinandersetzungen. Als es jungen Leuten gelingt, eine Einheit der Freiwilligenmiliz mitten auf der Stadtautobahn in die Flucht zu schlagen, hupen die Autofahrer, manche steigen aus und tanzen, von den umliegenden Häuserdächern und der FuÃgängerbrücke, auf die der Berichterstatter gestiegen ist, rufen die Menschen »Tod dem Diktator!«. Dann fährt die Motorradstafel eines Antikrawallkommandos heran. Die Demonstranten fliehen über die Leitplanke, einzelne finden Zuflucht in Autos. Der Berichterstatter hört jemanden rufen: Alle hupen!, schon setzt wieder das Hupkonzert ein. An sämtlichen StraÃenkreuzungen sind Milizionäre postiert, im Norden selbst Männer mit weiÃen Bärten, schmächtige Jungen, nicht älter als fünfzehn. Die Rufe, daà Gott gröÃer sei, sind an diesem Abend lauter und dauern länger.
Er beklagt sich nicht. Es ist seine eigene Tölpelei und immer noch leichter zu ertragen als jeder Knüppelschlag, der ihn gestern hätte treffen können, wenn nicht Schlimmeres. Es ist so töricht, daà es wahr sein muÃ: Heil von der Demonstration zurückgekehrt, noch nicht vom Geheimdienst behelligt, der seitdem die Videos auswertet, mit einem Bein schon im Taxi, das ihn zum Flughafen bringen sollte, fragte die Frau des Cousins, die den Koffer des Berichterstatters packte, wo eigentlich sein Paà sei. Zu dritt kehrten sie in der Wohnung das Unterste zuoberst. In den diversen Fundbüros, dem Fundbüro der Stadt, dem Fundbüro der Polizei, dem Fundbüro des Flughafens, hob kurz nach Mitternacht natürlich niemand ab. Am Flughafen klapperten sie alle Taxizentralen, zwei Büros der Polizei, die Auskunft und den Zoll ab. Der Berichterstatter vermutete, den Paà bei dem Fahrer verloren zu haben, der ihm das Anforderungsprofil des Soldatenberufs erklärt hatte, wuÃte allerdings weder dessen Namen noch den des Taxiunternehmens. Dienstpläne existieren nicht, teilte man ihnen mit, nicht einmal ein Verzeichnis der Fahrer. Ein Zollbeamter bestätigte, daà man grundsätzlich nur mit dem Paà ausreisen dürfe, mit dem man eingereist sei. Bei PaÃverlust schreibe das Gesetz eine Wartefrist von sechs Monaten vor, bis man einen neuen beantragen dürfe. Gegen halb fünf kehrten der Berichterstatter und sein Cousin in den Norden Teherans zurück. Der Berichterstatter sitzt in der Falle, ohne daà man den iranischen Behörden einen Vorwurf machen kann, die nichts anderes tun müssen, als sich streng ans Gesetz zu halten, um den Berichterstatter aus dem Verkehr zu ziehen. Nach Ablauf der sechs Monate wird er dann auf das Wohlwollen genau jenes Beamten angewiesen sein, der gerade nicht zu sprechen ist. Natürlich darf er solange nicht berichten, was er sah, schlieÃlich würde er sich strafbar machen. In der deutschen Botschaft erfährt er abhörsicher, daà das AuÃenministerium bereits das Szenario durchgespielt hat, ihn mit gefälschtem Diplomatenpaà aus dem Land zu schmuggeln: zu riskant. Abgesehen von allem anderen, der Frau, die sich vor Sorgen verzehrt, und den Eltern, die bisher nicht einmal wissen, daà er nach Teheran geflogen ist, der Vorstellung, der Ãlteren, die gestern nacht schon herzzerreiÃend weinte, sagen zu müssen, daà er auch heute nacht nicht
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