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trage. Ja, sagte UrgroÃmutter. UrurgroÃvater zeigte ihr das Gesicht eines gesunden Babys. GroÃvater, der dieses Baby werden sollte, entschuldigt sich beinah für diese Anekdote. Er habe sie nur erzählt, »da sie das Verhältnis der Frauen jener Zeit zu ihren Männern und ihre Furcht vor der Kinderlosigkeit illustriert«. Die Frau hat berechnet, daà die Zeugung am Abend des 24. September 2006 geschah. Wann das war? Er sagt es Ihnen: »Der Enkel war nicht mit dem Schwippschwager im Kino, sondern blieb im Büro, wo die Frau gegen 21 Uhr sämtliche Werke, Briefe und Dokumente Hölderlins von der Tischplatte des Schreiners wischte, dem Gott ein langes Leben schenken möge. Gesunde Kühe, gesunde Milch, quittierte der Enkel gegen 23 Uhr spitzbübisch die Bemerkung der Frau, daà der Sex zwischen ihnen zur Zeit besonders schön sei.« Die Verlaufsgeschichte des Abends einmal in ihre Einzelteile zerlegt, ist Philip Roths Roman über den Tod, dem der Romanschreiber widersprechen zu müssen meinte, der Grund für das neue Leben. Sonst hätte der Romanschreiber dem Schwippschwager nicht zugesagt und auf dem Weg zum Kino nicht zufällig die Frau getroffen, die spazierenging, weil die Tochter angerufen hatte, daà sie über Nacht bei einer Freundin bleiben würde, hätte die Frau nicht mit ins Büro genommen, sie vor der Tischplatte nicht ausgezogen, später nicht Hölderlin aufgelesen.
Aus dem gleichen, rein historischen Zweck, aus dem er auf den Aberglauben seiner Mutter eingegangen sei, gebe GroÃvater einen kurzen Ãberblick über seine Schulzeit. Nur für die Kinder der vornehmen Familien war es in jener Zeit die Regel, lesen und schreiben zu lernen. Für alle übrigen gab es auÃer den Theologischen Seminaren, wo sie zum Mullah ausgebildet wurden, in ganz Isfahan nur drei oder vier öffentliche Schulen, die in so miserablem Zustand waren und mit so überkommenen Methoden arbeiteten, daà die Schüler den Unterricht verabscheuten. Die vornehmen Familien schickten ihre Kinder â auch die Mädchen â zu einem Geistlichen. Mullah Mirza Mohammad muà eine erstaunliche Person gewesen sein. GroÃvater erinnert sich an mehr Details seines maktab , seiner Koranschule,als ich von meinen Gymnasien in Siegen behalten habe. Ob auch meine Erinnerungen zurückkehren werden? Der Unterricht kostete monatlich ein bis zwei Rial, heute umgerechnet ein hundertstel Cent, damals jedoch nur für die Wohlhabenden zu bezahlen. Wer nur dem Mittelstand angehörte, zahlte zehn Schahi â die Währung kenne ich nicht mehr â plus Naturalien. Das Haus lag in einer Gasse des Viertels Mehrabad, das Anfang der achtziger Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts, als GroÃvater die Selberlebensbeschreibung verfaÃt haben muÃ, noch genauso aussah wie in seiner Schulzeit. Wenn GroÃvater von einem »recht groÃen« Haus spricht, dann muà es für unsere Verhältnisse riesig gewesen sein, das Grundstück mindestens achthundert Quadratmeter, das ein- oder zweistöckige Gebäude um einen grünen Innenhof mit Brunnen gebaut, zusätzlich vielleicht noch ein Garten wie in dem alten Haus der GroÃeltern, das ich selbst noch schemenhaft vor Augen habe. Auf die achthundert Quadratmeter komme ich, weil die kleinsten Altbauten, die wir uns angeschaut haben, als wir überlegten, ein Haus in Isfahan zu kaufen, vierhundert Quadratmeter Grundfläche hatten, und da waren die Grundstücke schon aufgeteilt. Nach Westen hin lag das Haus des Mullahs an einer Gasse, an den drei anderen Seiten war es umgeben von Gärten. Nördlich und südlich des Innenhofs standen Wohnhäuser mit jeweils drei Räumen. Das Klassenzimmer befand sich im nördlichen Gebäude, neben dem Wohnzimmer und dem Schlafzimmer seiner Frau und der Kinder. In alle drei Zimmer fiel das Sonnenlicht, so daà sie vornehmlich im Winter benutzt wurden. Von Frühjahr bis Herbst fand der Unterricht im Südhaus statt, wo die Zimmer keine Türen hatten, sondern Gitter aus getrocknetem Lehm, durch die GroÃvater auf die Blumen und Bäume hinausschaute. Stets zog eine Brise durch das Klassenzimmer. Der Mullah saà auf einer kleinen Matratze, die mit einem groben Baumwollstoff bezogen war, zu seinen FüÃen ein Kelim, der die gesamte Estrade bedeckte. Unter dem Turban trug er eine kleine Mütze, die in Iran schon lange nicht mehr zu sehen
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