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ist, eine Mütze in der Form eines schmalen Topfs, wie GroÃvater schreibt, also einem Osmanenhut ähnlich, vermute ich, nur nicht in Rot, das hätte er erwähnt. Die Estrade, die ich mir nicht besonders hoch denke, zwanzig, dreiÃig Zentimeter vielleicht, hatte ein Geländer aus Kirschbaum â hat GroÃvater als Vierjähriger etwa auf die Holzart geachtet? â und an ihrem Ende einen Holzrahmen, auf den der Mullah die Kinder festband, die einen Fehler begangen hatten. Geschlagen wurde mit einem Riemen aus Kuhleder, einem djol , wie er damals genannt wurde. In der Mitte des Raums waren zwei zusammengenähte Lagen Stoff ausgebreitet, auf die sich die Kinder hockten, um ihre Lektion aufzusagen. Ansonsten saÃen sie ringsum an den Wänden. Der Mullah hatte auch immer eine Rute in der Hand, die bei kleineren Fehlern der Kinder auf deren Handflächen schoÃ, statt auf die nackten FuÃsohlen wie bei der Bastonade. Wenn ich es richtig verstehe, waren so die Zustände bei den besseren Lehrern, nicht in den drei, vier öffentlichen Schulen, vor denen es allen Kindern graute. Der Mullah hatte die Angewohnheit, den Schülern nicht nur das Lesen und Schreiben beizubringen, sondern ihnen auch täglich eine Stunde lang zu predigen, sie zu mahnen und lehrreiche Geschichten zu erzählen. Für einen Lehrer war das, soweit GroÃvater weiÃ, alles andere als üblich. Mehr noch: Meistens sprach der Mullah über die Freiheit, die politische Freiheit, wohlgemerkt, über Gleichheit und Brüderlichkeit, und das war in jenen Jahren â Jahre vor der Konstitutionellen Revolution von 1906 â nicht nur unüblich, sondern wirklich gefährlich, betont GroÃvater. Es waren die Jahre, in denen der despotische Gouverneur von Isfahan, Prinz Zell-e Soltan, nach der Krone in Teheran griff. Nur wenige Menschen trauten sich, über Politik zu sprechen, aber Mullah Mirza Mohammad, der die Kinder auf die Hände und FuÃsohlen schlug, prangerte die Despotie in aller Offenheit an. Wenn ich es mir nicht einbilde, erwähnte die Mutter einmal, daà GroÃvater seine Kinder niemals geschlagen habe, kein einziges Mal, und das war in ihrer Zeit, nehme ich an, ebenfalls alles andere als üblich.
Im vierten Band angelangt, beginnt der Leser zu ahnen, warum im Roman, den ich schreibe, Hölderlin aufgetreten ist, damit die AnmaÃung »reiner«, also die realen Erfahrungen ausstoÃender und sich bislang jedenfalls zu einer falschen Religion aufschwingender Poesie. Die Formen der Gedichte, selbst einzelne Bilder, Symbole, sogar Worte sind den Meistern nachgeahmt, die Motive arm, Leib und Wirklichkeit fehlen, monoton die Anhäufung der Epitheta »himmlisch«, »göttlich«. Interessant wird der Begeisterungsfuror allerdings durch die Briefe, die im Schnäppchen unmittelbar vorangestellt sind oder folgen. So schreibt Hölderlin Ende August 1792 seine »Hymne an die Liebe«: »Froh der süÃen Augenwaide / Wallen wir auf grüner Flur; / Unser Priestertum ist Freude, / Unser Tempel ist die Natur; â / Heute soll kein Auge trübe, / Sorge nicht hienieden sein! / Jedes Wesen soll der Liebe sein, / Frei und froh, wie wir, sich freun!« Solche Seligkeit mit Ausrufezeichen wäre nicht auszuhalten. Zur selben Zeit teilt Hölderlin jedoch seinem Freund Neuffer mit: »So siz ich zwischen meinen dunklen Wänden, und berechne, wie bettelarm ich bin an Herzensfreude, und bewundre meine Resignation.« Der Riesenraum zwischen dem Gedicht und dem gleichzeitigen Brief birgt viele Schwingungen, das Wesen einer Poesie, die persönliche Empfindungen in philosophischen Prinzipien denaturiert, ebenso wie die Generation, die den Schmerz wie eine Ausgehuniform trägt. Nebenbei bemerkt ist eine Formulierung wie »bewundre meine Resignation« sowieso bewunderungswürdig. Oft sind es gerade die Blätter, die der Herausgeber aus dem Abfallkorb holt, deretwegen ich manche Texte wieder und wieder lese, etwa die Ãberarbeitungen, insofern sie Ãberarbeitungen sind, also warum Hölderlin diese gegen jene Metapher ausgetauscht hat; oder die Nervosität, die ihn packt, weil er in einer Gedichtzeile eine falsche Reimzahl entdeckt (wenn Schiller das liest!), und nun will er den Verleger unbedingt noch erreichen, bevor das Gedicht erscheint, aber zu nervös darf er auch nicht wirken, das wirkte bei einem Nachwuchsdichter verbissen. In einem Brief
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