Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
Vom Netzwerk:
zivilen Opfer, viertausend Tote in diesem Jahr? Warum sind die Taliban nach fünf Jahren immer noch oder wieder so stark? Sicher gibt es Gründe dafür, sagt der Brigadegeneral, daß die Taliban im Süden Afghanistans eine breite Unterstützung zurückgewonnen hatten, als das Kommando von den Amerikanern an die NATO überging. Welche Gründe? Sehen Sie, als wir das Kommando übernahmen, waren wir von der Situation, die wir vorfanden, selbst überrascht. Die Amerikaner hatten ihre Stützpunkte, von denen aus sie Terroristen jagten. Wir wollten in die Fläche gehen, damit das Land sich entwickelt. Warum ist in den fünf Jahren zuvor kaum Entwicklungsarbeit geleistet worden? Die Mission der Amerikaner im Süden war eine andere, es ging nicht primär darum, das Land wiederaufzubauen, sondern den Feind zu bekämpfen. Als wir mit dem Aufbau beginnen wollten, merkten wir, daß es überhaupt keine Sicherheit gab. Wir wurden angegriffen, ohne darauf vorbereitet gewesen zu sein. Überall waren Feinde. Wir hatten Probleme, es gab viele zivile Opfer, zu viele zivile Opfer, unsere eigenen Verluste waren hoch. Das waren die Nachrichten vom Sommer, die Berichte von Gefechten, von Krieg, als man im Westen von der Irakisierung Afghanistans sprach. Aber: Wir haben die Schlacht gewonnen. Die Taliban mußten sich zurückziehen. Seit Oktober ist die Zahl der Toten deutlich zurückgegangen. Es ist ruhiger. Wir versuchen die Hilfsorganisationen zu überzeugen, die Arbeit im Süden nun endlich aufzunehmen. Wir beginnen mit Zonen, in denen die Sicherheit gewährleistet ist, und weiten sie dann Schritt für Schritt aus. Der Nordatlantikpakt hat erkannt, daß er mehr tun muß für den Wiederaufbau. Wir müssen den Afghanen beweisen, daß es ihnen ohne die Taliban bessergeht. Das ist eine bessere Strategie als Krieg. Der Berichterstatter fragt, ob das Problem nicht in der Struktur des Wiederaufbaus liege: daß ein Großteil der Hilfsgelder die Afghanen nicht erreicht. Ja, sagt der Brigadegeneral. Und die Powerpointpräsentationen? Werbefernsehen, winkt der Colonel ab. Die vielen zivilen Opfer – laufen sie nicht dem Ziel zuwider, die Herzen und Köpfe der Afghanen zu gewinnen? Wir wissen, daß jeder getötete Zivilist uns hundert neue Feinde schafft, sagt der Brigadegeneral und fährt mit einem Anflug von Erregung fort: Wir machen Fehler. Wir wissen genau: Afghanistan ist militärisch nicht zu gewinnen. Wir brauchen nicht unbedingt mehr Ressourcen fürs Militär, aber für zivile Projekte. Für den Wiederaufbau ist Sicherheit die Voraussetzung. Die Frage ist berechtigt, warum in den Jahren, als wir im Süden noch keine gravierenden Sicherheitsprobleme hatten, sowenig in den Wiederaufbau investiert wurde. Wo wäre Afghanistan ohne den Krieg im Irak? Tja, seufzt diesmal der Colonel, was soll ich sagen, das ist eine eigene Diskussion, ob der Irakkrieg richtig war, aber für Afghanistan kann ich soviel sagen, daß wir natürlich weiter wären. Ich kann es nicht bemessen, aber wir wären weiter. Gleichwie, hier ist nicht der Irak – »this war is winneable«. Die größte Sorge, fährt der Brigadegeneral fort, die größte Sorge, die wir haben, ist, daß irgend etwas passiert, was die Aufmerksamkeit der internationalen Gemeinschaft auf sich zieht, und Afghanistan ein weiteres Mal vergessen wird. Das Gespräch dauert länger als geplant. Es war wirklich interessant, mit Ihnen zu sprechen. Vielleicht sehen wir uns zu einem Drink im Offiziersclub wieder.
    Als der Berichterstatter in drei Sätzen den Roman skizziert, den ich schreibe, erwähnt der deutsche Presseoffizier, daß sein Schwiegervater vor vier Wochen gestorben sei, zehn Tage, nachdem er zum Schwiegervater geworden war. – Du hast letzten Monat geheiratet? Die Obduktion ergab nur die Natürlichkeit des Todes, nicht die Ursache. Die Flitterwochen waren natürlich beendet. Schau mal, das ist sie.
    Am 29. November sähe er um 0:21 Uhr das Tagwerk durch, wenn der Photograph nicht die Mitteilungen aus dem Archiv wiederaufgenommen hätte, jetzt Vietnam, vorhin die Mongolei, auf die ihn die Verpflegung der Soldaten gebracht hat beziehungsweise die Frage, ob No local food at any time tatsächlich eine Vorschrift ist wie die Desinfizierung der Hände vor jeder Mahlzeit und nach jeder Patrouille, eine ausdrückliche, mit einem Paragraphen versehene,

Weitere Kostenlose Bücher