Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
Vom Netzwerk:
Berichterstatter vor der Reise nicht für möglich gehalten hätte. Er hat nicht nur offizielle Gespräche und sogenannte briefings . Die meiste Zeit ist er bloßer Beobachter, in Militärflugzeugen, in Panzerwagen, in Kantinen und provisorischen Bars, auf den Straßenpatrouillen im Rücken der Soldaten, in Zelten und Wartehallen. Überhaupt das Warten: Mit dem Militär zu reisen, lehrt wahrscheinlich besser als jedes Meditationsseminar Geduld. Und nirgends lernt er die Soldaten besser kennen, als wenn er stunden- oder tagelang mit ihnen wartet. Es wird Soldaten geben, die dem Klischee des Rambos entsprechen, allein, der Berichterstatter trifft sie nicht an. Statt dessen trifft er junge deutsche Rekruten, die ihren persönlichen Auftrag, den Menschen in Afghanistan zu helfen, so klar, reflektiert und glaubwürdig formulierten, wie es keinem Werbefilm der Bundeswehr je gelänge. Er trifft keinen Offizier, dem er erklären müßte, daß man Herzen und Gemüter einer Bevölkerung nicht gewinnt, indem man Bomben über sie abwirft. Statt dessen hört er allerorten Kritik an den Amerikanern, die mit ihren Durchsuchungen, Bombardements und willkürlich scheinenden Verhaftungen das Ansehen und damit die Sicherheit der übrigen Soldaten gefährdeten. Dabei beteuern auch die Amerikaner in Gesprächen, daß sie doch nur helfen wollten. Als er das erste Mal nach Afghanistan geschickt worden sei, sagt der First Sergeant, der sich ehrlich zu freuen scheint, als er den Berichterstatter in der Kantine des Hauptquartiers wiedersieht, habe er gedacht, er komme für eine militärische Operation. Aber bald habe er gemerkt: Das Zivile sei viel wichtiger. Erfolg und Mißerfolg ihrer Mission würden sich im humanitären Bereich entscheiden. Das sei für ihn der Grund gewesen, weshalb er gern zum zweiten Mal in Afghanistan Dienst leiste: weil es ihn erfülle zu sehen, wie er konkret helfen könne. Es sei doch selbstverständlich, daß man als Mensch lieber helfe als kämpfe. Der First Sergeant hat nichts Martialisches an sich. Im hellen Gesicht, auf dem sich rote Äderchen abzeichnen, trägt er stets ein gutmütiges Lächeln unterhalb des blonden Schnurrbarts, und wenn er den Helm ablegt, zieht er einen Schlapphut auf. Mit Augen, die plötzlich aufleuchten, berichtete der First Sergeant von den afghanischen Dörfern, in denen seine Kompanie medizinische Hilfe geleistet habe, von den Gesprächen mit den Dorfältesten, von den Frauen und Kindern, die gelacht hätten. Er berichtet allerdings auch von dem Mullah, der einige Tage nach ihrem Besuch von den Taliban gehängt worden sei. Danach seien die Frauen in dem Dorf nicht mehr zu ihren Ärzten gekommen. Der Berichterstatter wendet ein, daß die Afghanen das amerikanische Auftreten offenbar immer negativer wahrnähmen, und fragt, ob er ihren Unmut nachvollziehen könne. – Ja, sagt der First Sergeant. Wenn wir mit unseren Autos unterwegs sind, müssen wir aus Sicherheitsgründen immer sehr schnell und rücksichtslos fahren. Ich würde mich als Afghane auch darüber ärgern. Der Berichterstatter sagt, daß er nicht das Verkehrsverhalten, sondern die vielen zivilen Opfer meine; ob ihm das als Soldat Gewissensbisse bereite. – Mein ultimativer Alptraum ist es, daß ein Kind mit einer Spielzeugpistole auf mich zielt. Ich glaube nicht, daß ich dann schießen würde. – Aber die Luftangriffe, setzt der Berichterstatter nach. Ein Dorf von oben zu bombardieren sei doch etwas völlig anderes, als vor jemandem zu stehen, der mit einer Waffe auf einen zielt. Mit 2095 Angriffen von Juni bis September 2006 hat die amerikanische Luftwaffe mehr Einsätze gehabt als jemals zuvor in Afghanistan. Zum Vergleich: Im Irak fanden im gleichen Zeitraum 88 Luftangriffe statt. – Glauben Sie mir, das ist jedesmal eine unendlich schwierige Entscheidung, einen Luftangriff anzuordnen, sagt der First Sergeant. – Und was geht Ihnen durch den Kopf, wenn sich die Entscheidung als falsch herausstellt? – Ich weiß auch nicht, wie man das rechtfertigen soll, antwortet der First Sergeant. Aber nach einer kurzen Zeit des Schweigens führt der First Sergeant auch die Luftangriffe wieder auf eine Situation der Selbstverteidigung zurück. Man sei eben angegriffen worden. – Als Soldat weiß ich, daß es Situationen geben kann, in denen meine Kompanie auch mich im

Weitere Kostenlose Bücher