Dein totes Mädchen: Roman (German Edition)
Laptop zu. »Seit wann bist du hier?«
Ulf zog sich einen Stuhl heran. »Seit gestern Abend.«
»Und wohnst du bei Maybrit?«
Ulf nickte.
»Ich hab vor zwei Tagen mit deiner Cousine gesprochen«, sagte Björn erstaunt. »Sie hat nichts davon erwähnt, dass du kommen wolltest.«
»Ich habe sie erst gestern Nachmittag angerufen, kurz bevor ich losgefahren bin.« Ulf fuhr sich mit der Hand über die Augen, und Björn bemerkte die steile Falte zwischen Ulfs Brauen und seine auffällige Blässe trotz der von der Kälte geröteten Wangen. »Ist etwas passiert?«, fragte er.
Ulf sah zum Fenster, vor dem sich die Eiszapfen, die vom Dach herunterhingen, in der Sonne spiegelten. Die Wiedersehensfreude, die eben noch in seinen Zügen gelegen hatte, war verschwunden. Er räusperte sich umständlich. »Sie ist hier, oder?«, sagte er schließlich, ohne Björn anzusehen.
Sie. Es gab keinen Zweifel, wen Ulf meinte.
»Ja, sie ist hier«, bestätigte Björn schlicht und fragte sich, wie Ulf davon erfahren hatte. Er bezweifelte, dass Maybrit es ihm erzählt hatte. Seit dem Wegzug seiner Eltern beschränkte sich Ulfs Kontakt zu seiner Cousine auf das Nötigste. Es hatte Streit gegeben wegen des Hauses und eines Grundstücks am See, das den Familien gehörte.
»Wann ist sie gekommen?« Ulf sah ihn immer noch nicht an, und die Frage bestätigte Björns Vermutung, dass Ulf seine Informationen nicht aus dem Dorf hatte.
»Vor zweieinhalb Wochen«, antwortete er und stand auf, um den Kaffee aus der Küche zu holen.
Ulf folgte ihm. »Als ich gestern Nacht ankam, bin ich zu ihrem Haus gefahren …«, begann er.
Björns Finger schlossen sich fester um den Griff der Kaffeekanne.
»… ich hab im Auto gesessen und auf die beleuchteten Fenster gestarrt, aber niemanden gesehen.« Ulf lehnte sich neben seinen Freund an die Anrichte. »Du hast sie getroffen, oder?« Seine Haltung war zu lässig, die Frage zu nebensächlich geäußert.
»Zwei- oder dreimal«, entgegnete Björn nach kurzem Zögern.
»Und?«
»Wir haben nicht viel gesprochen.«
»Du weißt also nicht, warum sie gerade jetzt nach all den Jahren zurückgekehrt ist?«
Björn schenkte ihnen Kaffee ein. Erst dann erwiderte er Ulfs Blick. »Du bist nur ihretwegen hier.«
»Ja«, gab Ulf ohne Umschweife zu.
»Ich glaube, es wäre es besser, du würdest zurück nach Stockholm fahren.«
Ulf schnaubte ungläubig. »Ohne sie gesehen zu haben?«
Björn nickte.
»Warum?«
»Aus demselben Grund, aus dem du ein Grab nach zwanzig Jahren nicht öffnest, um zu sehen, was noch übrig ist«, erwiderte Björn.
Ulf machte den Mund auf zu einer Replik, schüttelte dann jedoch ratlos den Kopf.
»Sie ist nicht allein hier, Ulf«, fügte Björn vorsichtig hinzu.
»Nicht allein?«, wiederholte Ulf. »Ich verstehe nicht …«
Diesmal war es Björn, der sich räusperte. »Sie wollten heiraten. Aber sie hat es sich anders überlegt.«
»Du meinst …«, Ulf suchte nach Worten, »… du meinst, sie ist …«
»Sie hat ihn sitzengelassen, ist gegangen, ohne ihm etwas zu sagen.«
Ulf lachte bitter auf, schwieg aber. Björn war ihm dafür dankbar. Er hatte damals alles miterlebt. Und er hätte Caroline am liebsten umgebracht für das, was sie seinem Freund angetan hatte.
»Du weißt, ich kann nicht fahren, ohne sie gesehen zu haben«, gestand ihm Ulf.
»Ich habe es befürchtet.« Björn reichte ihm einen der beiden Kaffeebecher, und Ulf schloss seine Hände darum, als könne er daran Halt finden. Schweigend starrte er auf den Fliesenboden. Achtundzwanzig Jahre hatten nicht genügt, um die Wunden zu heilen. Es schmerzte Björn, seinen Freund so zu sehen.
»Komm«, forderte er ihn auf und wechselte das Thema. »Setzen wir uns rüber. Du warst fünf Jahre nicht hier. Es gibt doch sicher einiges zu erzählen.«
Ulf sah auf, Erstaunen im Gesicht. »Fünf Jahre liegt mein letzter Besuch zurück? Unglaublich. Ich habe auf der Fahrt darüber nachgedacht, wie lange es her ist, aber …« Er brach ab und nahm einen Schluck von dem heißen Kaffee. »Ich kann dir nicht sagen, warum ich nicht mehr hergekommen bin, nachdem meine Eltern zu Irene gezogen sind. Du stolperst durch dein Leben, und die Zeit rast an dir vorbei, ohne dass du es merkst. Geht es dir nicht auch so?«
»Unter Freunden nennt man das älter werden«, entgegnete Björn nicht ohne Spott.
Ein flüchtiges Lächeln glitt über Ulfs Gesicht. »Das trifft es vermutlich. Aber du hättest mich auch in Stockholm besuchen
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