Dein totes Mädchen: Roman (German Edition)
können.«
Björn kratzte sich verlegen am Kinn. »Du wirst es nicht glauben, aber ich bin in meinem Leben genau einmal in Stockholm gewesen, und das hat mir gereicht.«
»Zu viele Menschen auf zu engem Raum?«, mutmaßte Ulf.
Björn grinste vielsagend.
»Du hast dich nicht verändert.«
»Du weißt doch, hier verändert sich kaum etwas«, entgegnete Björn.
Sonnenlicht durchflutete auf einmal den Raum. Staub tanzte glitzernd darin. Aus der Ferne war das allmählich leiser werdende Motorengeräusch eines Schneeskooters zu hören.
»Gehst du noch auf Bärenjagd?«, wollte Ulf wissen.
Als Jugendliche hatten sie gemeinsam mit ihren Vätern Jagd auf die großen Braunbären gemacht. Es hieß, dass in Härjedalen mehr Bären als Menschen lebten, und auf ihren Touren durch die lediglich von Sumpf- und Moorgebieten unterbrochenen Wälder waren Ulf und Björn nur in den seltensten Fällen Menschen begegnet. Sie hatten unter den Bäumen im dichten Moos zwischen Heidelbeerbüschen gelegen, die Schuhe durchnässt von den sumpfigen Wegen, die Körper zerstochen von Mücken, und hatten den großen Raubtieren aufgelauert. Die Bärenjagd war gefährlich, die Tiere unberechenbar, und Björn erinnerte sich an die Aufregung, die plötzliche Atemlosigkeit, wenn der Bär in Schussweite gekommen war und sein Vater das Gewehr angelegt hatte. Mehr als ein Tier hatten sie nie erlegt. Mehr hätten sie selbst zu viert nicht tragen können.
»Die Jagden sind schon über Jahre hinaus verkauft«, erwiderte er auf Ulfs Frage. »Wir haben Kunden aus Deutschland und Österreich, neuerdings auch aus Russland, obwohl man bei denen meinen sollte, dass sie selbst genug Bären im Land haben.« Er verzog das Gesicht. »Es wäre mir lieber, wenn wir darauf verzichten könnten.«
Ulf zuckte mit den Schultern. »Von irgendwas müsst ihr hier oben schließlich leben.«
Björn sagte nichts weiter dazu. Ulf war nicht mehr im Tal zu Hause.
Sie verloren sich noch eine Weile im Auffrischen alter Erinnerungen, dann klingelte Björns Telefon, und Ulf stand mit einem Seufzen auf. »Ich hab dich schon viel zu lang von der Arbeit abgehalten.«
»Wie lange bleibst du?«, wollte Björn wissen, während Ulf seine Winterstiefel schnürte.
»Ich muss spätestens Montagnachmittag wieder in Stockholm sein«, entgegnete Ulf.
Björn zögerte. »Wenn es stimmt, was ich gehört habe, wird der Deutsche, der Lilli besucht, heute abreisen.«
Bei der Nennung ihres Namens sah Ulf auf, und Björn entging nicht die Nervosität, die seinen alten Freund plötzlich erfasste. »Gib ihr einen Tag, bevor du zu ihr fährst«, fügte er hinzu.
Ulf richtete sich auf und legte Björn eine Hand auf die Schulter. »Danke.«
»Keine Ursache.«
In der Tür wandte sich Ulf noch einmal Björn zu. »Ich habe nie verstanden, warum sie sich damals für mich entschieden hat. Du warst nicht nur der Umgänglichere von uns beiden, du siehst auch besser aus.« Er grinste. »Sogar heute noch.«
Björn sagte nichts dazu, sah Ulfs schlanker Gestalt nur nach, als dieser den Weg zur Straße hinunterging, wo er sich noch einmal umdrehte und winkte, bevor er hinter den Bäumen verschwand. Sorgfältig schloss er die Tür und ging zurück in das von der Sonne durchflutete Esszimmer, räumte die Kaffeebecher in die Küche und setzte sich schließlich wieder vor seinen Laptop. Es hatte einmal eine Zeit gegeben, da hätte er alles dafür getan, Carolines Herz zu gewinnen. Dann hatte es eine Zeit gegeben, da hatte er sie verachtet für das, was sie Ulf angetan hatte. Er hatte nie die Gelegenheit gehabt, es ihr zu sagen, und als er sie jetzt wiedergesehen hatte, war es anders gewesen. Etwas war geschehen, das hatte er gespürt. Etwas verfolgte, ängstigte sie. Etwas stimmte nicht. Sie war nicht wirklich bei sich. Er hatte nicht gefragt. Wenn sie darüber reden wollte, würde sie es tun. Wenn sie ihn brauchte, würde sie zu ihm kommen. Dessen war er sicher, denn so war es schon immer zwischen ihnen gewesen. Sie hatten nicht viel Worte gebraucht. Er fragte sich, ob es fair gewesen wäre, mit Ulf darüber zu sprechen. Damals. Heute. Ob es irgendetwas geändert hätte.
5.
U nd es hat sich niemand gewundert, niemand hat gefragt, warum du nach all den Jahren plötzlich wieder auftauchst? Niemand will wissen, was du die ganze Zeit gemacht hast?« Thomas hatte sie derart ungläubig angesehen, dass Caroline trotz der ernsten Situation beinahe aufgelacht hätte.
»Natürlich wollen sie es wissen«, hatte sie
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