Dein totes Mädchen: Roman (German Edition)
trug einen weißen Pullover über einer sandfarbenen Cordhose und wirkte selbst in dieser schlichten Garderobe vornehm. Sie nickte Björn zu und wandte sich dann an Caroline. »Ich glaube, ich habe allen Grund, mich bei dir zu entschuldigen.«
Caroline nahm überrascht die Hand, die Maybrit ihr entgegenstreckte. »Hej, Maybrit, schön, dich zu sehen.« Einen Moment sahen sie sich schweigend an, dann lagen sie sich in den Armen. Es war ein gutes Gefühl. Maybrits dunkles Haar strich über Carolines Wange, und sie stellte fest, dass ihre alte Freundin noch immer Chanel No. 5 benutzte. Für Caroline war der Duft dieses Parfums so untrennbar mit Maybrit verbunden, dass sie immer an sie hatte denken müssen, wenn sie ihn in den vergangenen Jahren irgendwo auf der Welt wahrgenommen hatte.
Sie setzten sich Ulf und Maybrit gegenüber an den Tisch, Björn bestellte Getränke, und Caroline wies auf die Musiker, vier Männer mittleren Alters in Jeans und schwarzen T-Shirts. »Was erwartet uns denn?«
Björn zuckte mit den Schultern. »Eine Coverband, vermutlich ein bisschen was fürs Herz, ein bisschen was für die Beine.« Er grinste. »Die Bands, die sich zu uns verirren, sind selten hitverdächtig, daran hat sich wenig geändert, aber sie sorgen für gute Stimmung.«
Eine blonde Kellnerin brachte das Bier, das er bestellt hatte, und wechselte ein paar Worte mit ihm, die Caroline aufgrund der Geräuschkulisse nicht verstehen konnte. Dann nahm er sein Glas und prostete ihnen allen zu. »Auf die alten Zeiten.«
Caroline erhaschte den Blick, den Maybrit Björn über den Rand ihres Glases zuwarf. Spott lag darin, was typisch für Maybrit war, aber auch eine unerwartete Warmherzigkeit. Ob die beiden jemals mehr aus ihrer Freundschaft gemacht hatten, die sie seit Kindertagen verband? Ihr Umgang ließ keine Rückschlüsse darüber zu. Caroline sah zu Ulf. Er hatte den Blick auf sein Glas gerichtet und strich mit dem Finger die Wassertropfen ab, die an der Außenseite herunterperlten. Jetzt, da sie Ulf und Maybrit nebeneinander sah, merkte sie erst, wie sehr sie einander glichen. Sie hätten Geschwister sein können. Ulf hatte jedoch genau wie Caroline das Tal verlassen. Wie wäre ihr Leben verlaufen, wenn sie nicht fortgegangen wäre? Hätten sie und Ulf sich für ein Leben im Tal entschieden? Wäre Lianne noch am Leben, oder hätte sie hier ein anderer Tod ereilt, weil es ihr bestimmt gewesen war, so jung zu sterben? Gab es so etwas? Je älter sie wurde, desto weniger glaubte Caroline an Vorsehung oder Schicksal, und doch hatte das Telefonat mit Andra sie so verstört und beschäftigte sie noch immer. Ich hatte einen entsetzlichen Alptraum, klang ihr Andras Stimme wieder im Ohr, und mit einem Mal schien es ihr viel zu warm im Fjällkrogen. Sie zog sich den Schal von den Schultern und fächelte sich Luft zu. Ulf sah auf, und seine Finger schlossen sich so fest um das Bierglas, dass sie meinte, es müsse unter ihnen zerspringen. Er starrte auf den Ausschnitt ihres Seidenpullovers, auf den Anhänger der Kette, die sie trug. Unwillkürlich umschloss ihre Hand den schmalen goldenen Ring mit der altmodisch gefassten Perle.
»Eine wirklich schöne Perle«, hatte vor Jahren einmal ein Juwelier zu ihr gesagt, dem sie das Schmuckstück zur Reparatur gebracht hatte, weil ihr die Perle aus der Fassung gefallen war. »Perlen von dieser Qualität findet man heute nur noch selten. Ich könnte den Ring für Sie umarbeiten, ein wenig modernisieren.«
»Ich bin ganz zufrieden damit, wie er ist«, hatte sie damals nur geantwortet. »Es ist ein Erinnerungsstück.«
Caroline hätte sich ohrfeigen können, dass sie vergessen hatte, die Kette abzunehmen, aber nach all den Jahren des Tragens war sie so sehr Teil ihrer selbst geworden, dass sie sich ihrer oft gar nicht mehr bewusst war. Langsam ließ sie die Hand sinken, und der Ring fiel warm auf ihre Haut zurück. Sie wagte nicht, Ulf anzusehen.
Es war Björn, der sie aus der Situation rettete, indem er den Arm um sie legte, als die Band die ersten Takte anschlug. »Dir ist klar, dass dein erster Tanz mir gehört?«, rief er ihr über die Musik hinweg zu.
Sie lachte nervös auf. »Tanzen? Ich? Heute Abend?« Es war das Letzte, wonach ihr zumute war.
Aber Björn ließ sich nicht beirren. »Man muss die Feste feiern, wie sie fallen, Lilli«, erinnerte er sie augenzwinkernd, nahm ihre Hand und zog sie von ihrem Platz hoch. »Glaub mir, hinterher wird dir das Bier doppelt gut schmecken.«
Die
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